Judassohn
herein, wenn er sich offen zeigt und einen schlechten Scherz versucht?«
Merde! Sie können sich untereinander nicht leiden?
Dominics Zuversicht schwand. Mit einer solchen Wendung hatte er nicht gerechnet.
Das ist eine schöne Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig umbringen will.
»Ich bin kein Assassine, Madame! Ich …« Er sah sich um. »Madame, können wir nicht bei Euch drinnen weitersprechen? Es … sollte nicht jeder hören.«
Was rede ich da? Wer sollte hier sein?
Wieder lachte die Baronin. »Du bist entweder ein sehr guter Attentäter oder ein sehr naiver Vampyr.« Sie winkte ihm zu. »Ich gestatte dir, näher zu kommen. Doch ich werde nicht zögern, dich zu töten, wenn du dich falsch benehmen solltest.« Sie schloss das Fenster.
»Merci, Madame!«
Was meint sie mit falschem Benehmen?
Dominic ging auf den Eingang zu. Die letzte Äußerung brachte ihn zum Grübeln und schuf ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend. Die Baronin war tausendfach gefährlicher als vier Dutzend hungriger, gereizter Doggenrudel.
Eine Prüfung.
Er wartete vor der eisenbeschlagenen Tür und betrachtete seine Fingernägel. Schnell entfernte er den Dreckrand mit den Zähnen. Dominic wollte einen guten Eindruck machen, denn er brauchte ihre Unterstützung. Er grinste.
Jemand, der so gut Französisch spricht, kann kein schlechtes Wesen sein.
Lydia Metunova öffnete ihm. Ihr Anblick erschreckte Dominic: Das rotweiße Kleid mit den Stickereien hatte einmal gut ausgesehen, doch es war mittlerweile abgetragen und wies dünne Stellen an den Ellbogen auf; der Saum war verschmutzt und ausgefranst.
Das soll …?
»Du«, knurrte sie, »starrst mich an, Bursche!«
»Verzeiht, Madame«, sagte Dominic und verbarg seine Überraschung. Ihre roten Haare waren zerzaust und fielen in wilden Locken auf die Schultern herab. Nein,
so
sah
keine
Baronin aus! »Eure Schönheit ist von wundervoller …«
»Geschenkt«, sagte Metunova und winkte ab. Das Gesicht gehörte einer Fünfzigjährigen, die beim Hinsehen alterte. Er meinte zu sehen, wie sich die Falten darauf vertieften und neue entstanden. »Ich weiß deinen französischen Charme zu schätzen, aber ich bin nicht so einfältig, darauf hereinzufallen.« Ihre blauen Augen zuckten leicht, als könnten sie sich nicht auf eine Stelle fokussieren. »Du behauptest, Scyllas Sohn zu sein und dass dich Marek geschickt hat.«
»Nein. Marek weiß nicht, dass ich Euch aufsuche, Madame.« Er verneigte sich. »Und nicht
ich
behaupte, ihr Sohn zu sein. Sondern Marek.«
Sie lächelte ansatzlos, und dadurch wirkte sie plötzlich freundlicher, netter und fast eine Spur herzlich. »Oh.
Das
ändert alles.«
Sei auf der Hut!
Dominic nahm ihre Hand und drückte einen Kuss darauf. Die Haut wirkte spröde und rissig, als habe die Vampyrin die harteArbeit einer Wäscherin oder Bäuerin verrichtet. »Ich freue mich. Ihr werdet mir sicher dabei helfen können, mehr über meine Mutter zu erfahren.«
Metunova trat nach hinten und bat ihn herein. Er machte einen Schritt über die Schwelle. Es roch angenehm nach Holz und Rauch, nach warmem Stein und Gewürzen. Außer einem Ofen befand sich in dem großen Raum nichts.
»Warte da.« Sie ging an ihm vorbei und steckte einen Dolch in den oberen Rahmen »So. Und nun wieder hinaus«, sagte sie freundlich.
»Bitte, Madame?«
Die Vampyrin fletschte auffordernd die Zähne, sagte nichts weiter.
Sie ist verrückt!
Dominic setzte einen Fuß zurück, doch er schien gegen die geschlossene Tür gelaufen zu sein. »Hoppla, ich habe wohl nicht darauf geachtet, dass Ihr …« Er sah über die Schulter, und seine Augen wurden groß: Es gab kein sichtbares Hindernis! Sosehr er sich anstrengte, er gelangte nicht ins Freie.
Zauberei!
Metunova lachte erneut über ihn, aber es klang wohlwollend. »Du bist zumindest ein echter
Judassohn
.« Sie zeigte auf das Messer. »Die Klinge verhindert, dass du durch die Tür gelangst. Eine unserer Schwächen. Kein Kind des Judas kommt durch Fenster und Türen, wenn etwas Scharfes oder Spitzes darüber angebracht ist. Hat dir Marek das nicht gesagt?«
»Nein, Madame«, antwortete er zerknirscht und ahnte, dass er etliche weitere Geheimnisse nicht kannte.
»Das passt zu ihm. Er hätte es bei dir angewandt, um dich zur Strafe einzusperren, wenn du seinen Anweisungen nicht nachkommst.« Sie winkte ihn zur Treppe und ging die Stufen hinauf. »Hüte dich vor deinem … Halboheim. Er hat deiner Mutter schlimme Dinge angetan und versucht,
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