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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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sich durch den Schock an nichts erinnern könne.
    Schlaues Kind. Aber irgendwie ist es auch ein bisschen beängstigend.
    Sia sah auf die Uhr. »Die Sonne geht bald auf.«
    »Du musst gehen.«
    »Nur in den Keller. Ich habe da eine Notfallunterkunft.« Sia erhob sich und gab der schlafenden Emma einen Kuss auf die bandagierte Stirn.
    Es tut mir leid, was du mitgemacht hast
.
    »Bis später. Pass gut auf deine Mutter auf.«
    »Mach ich, Tante Sia.«
    Sie öffnete die Tür, zögerte und lauschte in sich. Der Tod befand sich nach wie vor nicht im Zimmer.
    »Tante Sia?«
    »Ja?«
    »Werde ich auch zu einer Vampirin wie du, wenn ich sterbe?«
    Sia lief ein Schauder den Rücken hinab. »Es kann sein, mein Schatz.«
    »Und Mama?«
    »Das ist auch gut möglich.« Sie versuchte ein Lächeln, das ihr aber misslang.
    »Werde ich dann auch die vielen coolen Sachen können, die du und der andere Vampir beherrschen?«
    Sia merkte, dass das Gespräch eine Wendung nahm, die ihr nicht schmeckte. Elena hatte sich wohl die letzten Tage mit dem Thema beschäftigt. Das Akzeptieren, dass es Vampire und Werwölfe gab, hatte ungemein rasch stattgefunden und war in eine neue Phase getreten, verbunden mit der Frage: Was wird aus mir?
    Unheimlich, das Kind. Ist das der Vampirkeim in ihr, der sie nicht lange im Staunen über das Dunkle und die Kreaturen darin verharren lässt?
    Elena saß neben ihrer Mutter, hielt noch immer die Hand und sah sehr nachdenklich aus. »Würdest du uns umbringen oder am Leben lassen? Das war doch der Grund, warum dieser Vampir aufgetaucht ist: Du hattest ihn
nicht
umgebracht. Und daraufhin ist ihm wohl sehr viel Böses widerfahren.«
    Kind, hör auf, solche Fragen zu stellen!
    Sia kratzte sich am Kopf, rieb sich über das Gesicht. »Was wäre dir denn lieber?«
    Elena schwieg lange. »Ich glaube, das entscheide ich, wenn es so weit ist, Tante Sia.« Sie zeigte auf den Korridor. »Schlaf gut.«
    »Es ist nichts Erstrebenswertes. Und wer weiß: Vielleicht wirst du gar kein Vampir.« Sia winkte ihr zum Abschied und schritt den Gang hinunter.
    Ihre Gedanken hingen dem weißgekleideten Unbekannten nach, der sie vor dem Tod durch den Comte bewahrt hatte. Sie hielt es für eine glückliche Fügung, dass er zu dieser Zeit an diesem Ort aufgetaucht war. Ihre Vermutung lautete, dass derWerwolfjäger einfach einen Loup-Garou hatte zur Strecke bringen wollen.
    Schicksal. Ein Hoch auf dich, wer immer du gewesen bist! Ich würde dir sogar einen ausgeben.
    Und dann war da die Erinnerung an Tanguy Guivarch, den Sohn, der ihr entkommen war. Sie sah ihren ehemaligen Mann vor sich, Albert, und hörte, wie sie sich über Tanguy unterhalten hatten. Die Nacht in der Brière, als sie geglaubt hatte, ihren damals schon verrückten Sohn enthauptet und verbrannt zu haben. Irgendwie hatte er überlebt. Sie fühlte sich durchaus schuldig.
    Was für ein schreckliches Leben er hatte.
    Sia betrat den Lift und fuhr in den Keller, wo sie sich neben der Wäschekammer ein kleines Lager eingerichtet hatte. Das Pflegepersonal glaubte, dass dies ihre Umkleide und ihr Büro war. Ein Abstecher zu den eingelagerten Blutkonserven brachte ihr einen gekühlten Schlummertrunk. Typ null negativ.
    Sie legte sich auf die Pritsche und sog die letzten Tropfen aus dem Beutel. Sie konnte Tanguy verstehen. Doch sie zog eine wichtige Lehre aus dem, was ihr und den beiden geliebten Menschen in dieser Nacht widerfahren war.
    Ich darf niemals mehr scheitern, wenn ich ein Leben beende.
    Sia warf den Beutel weg und schloss die Augen.
     
    Sie bekam nicht mit, dass Elena an ihrer Liege auftauchte und ein Laken über sie deckte, damit sie nicht fror.
    Das Mädchen betrachtete die schlafende Vampirin lange, ehe sie sich umdrehte und nach oben zu ihrer Mutter zurückkehrte. Die Entscheidung, was nach dem Tod geschehen würde, hatte sie für sich schon lange gefällt.
    Es wird nicht zu Ende sein.
    Denn auf diese Weise konnte sie ihre Mutter besser vor allem Bösen beschützen. Die Kräfte von Sia und diesem Tanguy hatten sie tief beeindruckt.
    Elena fürchtete sich nicht davor, eine Vampirin zu werden. Ganz im Gegenteil, sie freute sich sogar ein bisschen darauf.
    Was ich mit diesen Fertigkeiten an Gutem bewirken könnte!
    Sicherlich hatte sie in jener Nacht zuerst Angst verspürt, in der Tonja das Gemetzel angerichtet hatte. Aber inzwischen hatte sich der Schrecken gelegt. Als Vampirin hätte sie ihre Freunde vielleicht retten können, als kleines Mädchen war ihr das nicht

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