Judassohn
Handy klingelte, Emmas Nummer leuchtete auf.
Nicht jetzt, dumme Schlampe! Ich will mich nicht über dich ärgern.
Harm ignorierte das Signal, das nach zehnmal Läuten endete; gleich darauf kam eine SMS. Auf dem Display stand:
Nimm ab! Es geht um viel Geld. Scylla
Fuckin fuck fuck!
Die Melodie ertönte gleich darauf, und er nahm den Anruf entgegen. Er musste einfach.
»Ja?«
»Schön, dass du rangegangen bist, Harm«, hörte er ihre Stimme.
»Was willst du?«
»Dir gratulieren. Du hast anscheinend gewonnen.«
Würde sein Handy Bildübertragung besitzen, hätte sie ihn jetzt glotzen sehen können. »Nein«, antwortete er, »ich glaube nicht, dass du aus dem Grund anrufst.« Das Wort
anscheinend
hatte er sehr wohl vernommen.
»Doch, wirklich. Meine Schwester hat mir erzählt, wie sehr du dich anstrengst, um deinen Tod vorzubereiten, und was sich alles in ihrem Leben ab dem ersten Januar ändern soll«, sagte sie. »Ich respektiere ihre Liebe zu dir.«
»Danke. Ich …«
»Aber ich kann nicht zulassen, dass sie sich einem Lügner anvertraut«, führte sie den Satz harsch fort. »Du magst in der Unterwelt gefürchtet sein, aber ich habe keine Angst vor dir.«
Versau mir nicht meine Hochstimmung!
Harm verstand es als Ankündigung. Er klammerte sich ans Lenkrad und hielt den Mustang in der Spur. Ein Unfall bei dreihundert Sachen könnte unschön werden. »Was hast du getan?«
»Mich ein bisschen umgehört, während du auf Reisen warst. Mit dem richtigen Druck erreicht man eine Reaktion, aber das muss ich dir nicht erklären. Die Idee mit den Kunstharzwürfeln ist übrigens phänomenal.«
Eine Vielzahl Szenarios jagten durch Harms Kopf und blieben Spekulation, solange sie nicht deutlicher wurde. »Komm zur Sache!«
»Die Kontodaten waren leicht zu bekommen. Auch die von deinen neuen Konten, die du erstellt hast, um dein Geld vor Emma zu verbergen. Jedenfalls genügten die Informationen der britischen Polizei. Ich habe dein Geld aus dem Weg geräumt und dir ein wenig geholfen, Harm Byrne sterben zu lassen.« Scylla lachte selbstgefällig. »Übrigens hast du einen Teil auch anonym gespendet.«
»An dich?«
»Möglich. Ich muss schließlich sehen, wo ich bleibe. Mir ist es egal, woher dein Reichtum stammt.« Sie lauschte. »Du bist bemerkenswert ruhig.«
Die Neuigkeiten trafen ihn hart und brachten seine Gedanken zum Schwirren, ohne dass er einen davon festhalten konnte. Harm nahm den Fuß vom Gaspedal, weil er fürchtete, die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Sein erster Impuls war, nach Leipzig zu fahren und sie endlich umzubringen. Seine gute Laune war mit dem Klang ihrer Stimme bereits verflogen gewesen.
Das habe ich davon, dass ich meine Rache genießen wollte.
»Du bist ein Lügner und hattest deine Chance«, vernahm er sie mit Kälte in der Stimme. »Sollte ich dich noch einmal in Leipzig oder mit meiner Schwester zusammen sehen oder dich mit ihr reden hören, reiße ich dir den Kopf ab, stecke ihn in ein Goldfischglas und …«
Harm legte einfach auf.
»FUCK!«, schrie er so laut er konnte und trat das Gaspedalwieder durch. Die Umgebung schoss vorbei, als wäre es ein Film, der im schnellen Vorlauf von ihm betrachtet wurde.
Die Vorarbeit, die Vorbereitung, meine ganzen Träume von Erniedrigung und Rache, die ich an Scylla ausleben wollte, kann ich nicht mehr umsetzen!
Er schrie seine Frustration laut heraus.
Ich habe es der Schlampe umsonst gemacht und sie angerührt und mich mit ihrem Saft beschmutzt.
Harm konnte gar nicht mehr aufhören zu toben. Er ließ die Wut am Beifahrersitz aus, der unter seinen Schlägen zerfledderte. Schaumstoffstückchen flogen davon, und letztlich gab die Verankerung nach.
Die Abzweigung auf die Landstraße nach Zweibrücken flog heran.
Er jagte mit quietschenden Bremsen die Ausfahrt hinab. Der Mustang drehte sich in der Abfahrt mehrmals um die eigene Achse und rammte die Leitplanken.
Harm wurde durchgeschüttelt, der Gurt hielt ihn fest. Tuckernd kam das Auto zum Stehen.
Alles im Arsch. Alles! ALLES!
»Fuck!«, schrie er noch einmal, öffnete die Seitentür und trat den ramponierten losen Sitz hinaus. Er legte den Kopf gegen das Lenkrad, schloss die Augen. Es gab zu viele Stellen, an denen es brannte und die er nicht löschen konnte. Sein Imperium geriet aus den Fugen, seine Pläne drohten vollends zu scheitern.
Hupend zog ein Fahrzeug an ihm vorbei. Es hielt niemand an, um nach ihm zu sehen. Harm fand es symptomatisch.
Es kann nur mein eigener
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