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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Fluch sein, der mir das alles antut. Aber warum erst jetzt, nach mehr als zweihundert Jahren? Sandrine hat Tanguy verflucht und nicht Harm Byrne.
    »Ich bin nicht Tanguy«, murmelte er und seufzte. Die unheilbringenden Kräfte schienen hier jedoch keinen Unterschied zu machen. Er war nur
eine
Person mit vielen Persönlichkeiten.
    Jammern bringt nichts.
    Harm hob den Kopf und hatte sein Formtief überwunden. Er legte den ersten Gang ein und fuhr los, donnerte die Straße weiter.
    Erst das Schwert, dann alles andere.
     
    Einige Stunden später saß er auf dem Dach des Ford und starrte in den Himmel, der sich zartrosa färbte. Die Sonne würde bald aufgehen.
    Fuck.
    Wieder war alles anders gekommen, als er gedacht hatte.
    Harm hatte den Ort erreicht, auf dem seine Hoffnung geruht hatte, und das Schwert gefunden – um festzustellen, dass es nutzlos war! Beschädigt, unbrauchbar.
    Er war in diesem Augenblick der maximalsten Enttäuschung und bittersten Erkenntnis zu sehr geschockt gewesen, um sich auf Kämpfe einzulassen, und hatte sich zurückgezogen. Nicht eine seiner Vampirkräfte hätte er anwenden und nicht einen Angriff führen können. Leer. Eine hohle Figur, eine Hülle, in der jegliche Energie erloschen war. Hass, Wut, Mordlust erschienen wie weggewischt. Er war antriebslos und durchdrungen vom schweren, niederschmetternden Gefühl der Sinnlosigkeit seines Tuns und seiner Existenz.
    Harm sah dem Rosa zu, wie es sich unaufhörlich ausbreitete und das Kommen des Taggestirns verhieß.
    Ich kann den Pakt nicht mehr brechen.
    Dieser Satz wiederholte sich mantragleich in seinem Kopf.
    Anjankas wertvolle Jahre, die sie mit Übersetzen verbracht hat – vergeudet! Hätten wir doch die Stunden genutzt! Das Geld, die viele Zeit, die ich investiert habe – vergebens!
    Von Sekunde zu Sekunde stieg seine Verzweiflung und erreichte eine Intensität, wie er sie zuletzt beim Tod von Anjanka empfunden hatte. Es gab keinen Ausweg.
    Ich kann ihren letzten Wunsch nicht erfüllen.
    Harm lehnte sich nach hinten, sah zu den schwindenden Sternen. Alles wurde gleichgültig.
    Wenn ich hier liegen bleibe? Was wird die Sonne mit mir tun?
    Harm fühlte, dass sein Verstand davondriftete. Er ging zusammen mit dem Lebenswillen. Auch der Gedanke an Scylla brachte keinen belebenden Impuls.
    Mutter. Ich habe mir viel zu lange Zeit gelassen. Hätte ich sie gleich umgebracht, wäre mir viel erspart geblieben. Sie, Emma und Elena. Das Spiel lief schlecht für mich. Mein eigener Fluch hat mich ereilt. Wenigstens das hat funktioniert.
    So gab es eine Frau namens Emma, die ein Ladenlokal auf seine Kosten eröffnet hatte und die ihn niemals wiedersehen würde. Dank seines Geldes würde sie reich werden, während sein brennendes Verlangen nach Rache ihn letztlich alles gekostet hatte: seine Macht, seinen Reichtum, seinen Ruf und seine Aussicht auf Erlösung.
    Er kreuzte die Arme hinter dem roten Schopf.
    Was wird die Sonne mit mir tun?
    Harm dachte an nichts mehr, sondern wartete darauf, dass er sie bald sehen würde.
    Etwa eine halbe Stunde hatte er einst in den Strahlen ausgehalten. Dieses Mal würde er so lange ausharren, bis er zerfiel oder sich entzündete oder wie Wasser schmolz. Er hatte keine Ahnung, was nach dem kritischen Punkt geschehen würde.
    Harm entspannte sich.
    Am tragischsten fand er, dass Anjanka und er selbst im Tod nicht vereint waren. Die Tenjac dienten einem anderen Dämon als die Viesczy und die Kinder des Judas.
    »Seiest du tot oder lebendig, du entkommst deiner Strafe nicht! Nimm das Unglück, das ich dir sende! Nimm es und vergehe daran, zerbrich daran und empfinde niemals mehr Trost indiesem und im nächsten Leben!«, hörte er Sandrines Stimme. »Tanguy Guivarch: Ich verfluche dich bis in die Ewigkeit! Wo immer du bist, lehnen Not und Unglück an deiner Schulter. Und wenn du Trost empfängst, soll er dir mit doppeltem Leid wieder genommen werden.«
    Die Sonne wanderte über den Horizont und blendete ihn mit ihrem ersten Schein. Er musste die Augen schließen, legte die Füße übereinander und wartete.
     
    * * *

LAMENTO VII
     
    Welchen
    Sinn macht
    alles? Die Liebe kann
    es nicht sein. Sie
    vergeht.
     
    Ich
    habe nur
    ein Leben. Leider
    ist es viel zu
    lang.
     
    Am Ende erkannte ich,
    dass ich auch schuldig bin.
    Warum habe ich meine Existenz nicht besser genutzt?
    Ich habe mich viel zu leicht zu dem Leben hinreißen
    lassen,
    das ich geführt habe.
    Verführt. Mit offenen Augen.
    Doch vielleicht … vielleicht gibt

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