Judassohn
ihn. Zudem befand er sich auf geschätzten fünfzig Schritt Höhe. Wie er den Aufschlag auf normales Land überstehen sollte, wusste er ebenfalls nicht.
Brausend rückte der Atlantik näher; die Luft roch frischer, nach Salz und Feuchtigkeit.
»Schluss!«, rief er verzweifelt. »Welche Macht auch immer dies bewirkt, ich befehle dir: Beende es!«
Tanguy sah die Wellen sich an einem Riff brechen. Schäumend rollten die Wogen den steinigen Sand hinauf, schoben Treibholz, Muscheln und Steinchen unaufhaltsam mit sich.
Ich werde sterben
, dachte er mit plötzlicher innerer Gewissheit. Der Anblick der Naturgewalt sprach seinen Selbsterhaltungstrieb an, und er wusste:
Die kleinste Berührung mit den aufgewühlten Wellen wird mein Ende bedeuten. Sie werden meinen Leib säuregleich zersetzen, und ich kann es nicht verhindern.
Angst ums nackte Überleben befiel ihn. Es spielte keine Rolle,dass er einen mächtigen Loup-Garou besiegt hatte, dass er Menschen wie Schafe reißen konnte oder andere übernatürliche Gaben besaß. Vor ihm lauerte der Tod. Der endgültige Tod.
Nein! Nein, es muss doch zu schaffen sein, dass ich …
Er strampelte und vollführte absonderliche Verrenkungen, um seinen Flug aufzuhalten.
Unversehens war es, als hätte man sein Gewicht verdreifacht. Tanguy rauschte steingleich in die Tiefe.
Der Strand unter ihm kam rasend näher. Er bemühte sich, mit den Füßen voran aufzutreffen.
Der weiche Untergrund aus grobem Sand, Muschelresten und Algen dämpfte den Aufprall. Es krachte, als sei er auf Holz gelandet. Heiße Schmerzen fuhren durch seine Beine, die Gelenke schmerzten.
Tanguy lag nackt am feuchten Strand und blickte ungläubig auf die Verletzung. Das Krachen, das er vernommen hatte, stammte von seinem rechten Unterschenkel. Er keuchte vor Schmerz auf: Der Knochen war gesplittert und hatte sich durch das Fleisch gebohrt.
Glimpflich davongekommen,
dachte er erleichtert, bis er das Plätschern wahrnahm, das sich ihm näherte. Hektisch drehte er den Kopf.
Das Meer? Wo ist es?
Die nächsten Wogen schwappten heran.
Nein, nein, nein!
Er rutschte und schob sich wie eine Robbe davon, um der Berührung zu entgehen. Als es zu knapp zu werden drohte, rollte er sich um die eigene Achse.
Der Atlantik mit seinen Wellen blieb hartnäckig hinter ihm. Ein kleiner Ausläufer erwischte ihn an der rechten Schulter.
Das Meer verätzte blitzschnell seine Haut, fraß sich hindurch bis auf den Knochen, als bestünde sein Körper aus angemaltem Zucker; sogar die Knochen wurden angegriffen und in Mitleidenschaft gezogen.
Zur unsäglichen Pein gesellte sich eine immense, unbeherrschbare Furcht. So weich und kühl das Wasser war, so harmlos die erste Berührung im Vergleich zur Attacke des Loup-Garou daherkam, umso tödlicher war sie!
Tanguy kreischte und wimmerte. Vollkommen kopflos und getrieben vom Willen, dem Meer zu entkommen, rutschte er hastig den Strand hinauf. Winselnd wie ein Tier wand er sich weiter über die großen Steine, die unmittelbar an den Strand anschlossen. Erst als er verstanden hatte, dass die Wogen ihm nicht weiter folgten, beruhigte er sich.
Welche Macht steckt im Wasser?
Er biss die Zähne fest zusammen. Die Wunden, die ihm das Meer zugefügt hatte, verheilten nur unter großen Schmerzen. Dass sich sein Bruch längst geschlossen hatte, fiel ihm zunächst nicht auf. Tanguy umklammerte die Felsen, stöhnte und schnaufte, bis die Heilung abgeschlossen war. Erschöpft sank er nach hinten.
Die Sterne blinkten und funkelten über ihm. Sie kamen ihm unglaublich gleichgültig vor, starrten auf ihn herab und würden vermutlich immer noch am Firmament hängen, wenn er vergangen war. Um ein Haar hätte ihn die Endlichkeit heute zu sich geholt.
Ich darf nicht verweilen
, sagte Tanguy zu sich selbst.
Der kleine Seigneur wird bestimmt Hilfe geholt haben, um die Brière nach meinem Unterschlupf abzusuchen.
Er erhob sich und kletterte mit spielerischer Leichtigkeit die Steilwand hinauf.
Vieles war denkbar. Vielleicht würde man das Haus niemals finden, vielleicht hatte man es schon entdeckt. Es ging ihm lediglich darum, seine Notizen über die Vampire zu sichern. Dann würde er dem kleinen Comte einen Besuch abstatten.
Ich habe dir zuerst den Tod geschworen, verzogener Rotzlöffel.
Er hatte die Bruchkante erreicht, zog sich hinauf und blickte noch einmal nach dem Meer, das rauschte und Welle um Welle aussandte. Die Flut brandete herein. Tanguy schauderte.
Ein wenig später, und ich wäre im Wasser
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