Judassohn
Waffe traf das Ziel und begann ihr vernichtendes Werk: Der Werwolf brüllte ohrenbetäubend und wälzte sich zur Seite, wodurch er sich das Schwert schräg durch den Leib trieb.
Die Intarsien auf dem Schwert gerieten in Bewegung, verflüssigten sich und schienen von der Klinge in den Leib des Feindes zu fließen. Morast spritzte in die Höhe, den die Bestie im Todeskampf um sich warf. Grauer Rauch strömte aus ihrem Schlund und aus der Wunde, es stank verwesend und brennend zugleich. Silbrig schimmerndes Blut floss auf die Erde.
Tanguy roch es. Es zog ihn magisch an, und bevor er sich zur Ordnung zu rufen vermochte, stürzte er sich mit weit offenem Mund auf den vergehenden, sich schwach bewegenden Loup-Garou.
Doch was er in den Mund bekam, brachte ihn zum Würgen.
Das ist …
Er wich zurück, spuckte und versuchte, den Rachen mit Wasser auszuspülen. Aalblut bedeutete dagegen eine Delikatesse. Es hatte den Anschein, als ätzte sich das Blut, das er gierig geschluckt hatte, durch den Magen.
Ich benötige etwas Besseres zum Nachspülen!
Er trat von dem zuckenden Werwolf weg, der den Kampf gegen den Tod verloren hatte; knackend verformte er sich und nahm Menschengestalt an. Tanguys Augen verengten sich, er sah zum Jungen, der etliche Schritte von ihm entfernt stand. »Ich habe es dir versprochen«, flüsterte er und spie die letzten Reste des widerlichen Blutes aus. »Du schmeckst gewiss besser als dein Großvater, petit Seigneur!«
Der Junge hielt den Dolch stoßbereit. »Du wirst mich nicht töten, Blutsauger. Ich trenne dir den Schädel ab, und dann wirst du vergehen!« Er senkte den Kopf, die braunen Augen blickten trotzig und unglaublich sicher. Der karamellfarbene Ring leuchtete wie lichter Bernstein.
Du wirst mir munden.
Tanguy lachte auf und rannte immer schneller werdend auf sein Opfer zu, die Hände nach vorne gestreckt – und er verlor den Boden unter den Füßen.
Ein Zauber!
Eine unerwartete Leichtigkeit hatte sich seiner bemächtigt, die ihn sanft wie eine Feder schweben ließ. Nicht nur das: Er trieb auf sein Opfer zu und glitt durch es hindurch!
Der Junge machte große Augen und stach dennoch nach ihm. Die Klinge hätte Tanguy ins Herz getroffen, aber sie zischte harmlos durch seinen schimmernden Körper.
Was geht hier vor?
Der Wind packte ihn und trug ihn mit sich, schob ihn unter der Weide hindurch zum Abendhimmel empor.
»Komm zurück!«, rief der Junge unter ihm und reckte den Dolch senkrecht nach oben. »Komm zurück, feiger Blutsauger!«
Tanguy ahnte, dass er ungewollt eine seiner Vampirkräfte aktiviert hatte, und zwar zum ungünstigsten Augenblick. Er trieb höher und befand sich bereits elf, zwölf Schritt über dem Sumpf.
Wie kann ich es steuern?
Er bemühte sich, konzentrierte sich, aber er erlangte seine körperliche Form nicht zurück.
Der Junge blickte ihm hinterher. »Ich werde den Tod meines Großvaters rächen!«, schrie er ihm nach. »Hörst du mich, Tanguy Guivarch? Ich finde heraus, wie ich dich vernichten kann, und dann wird mich nichts aufhalten können!«
Wenn ich könnte, wie ich wollte, petit Seigneur, wärst du mit deinem Großvater bereits vereint.
Er flog mit dem Wind nach Westen, auf die Salzfelder rund um Guérande zu. Der Knabe blieb zurück und wurde bald von den Halmen verdeckt.
Wie komme ich wieder nach unten?
Sosehr es ihn ärgerte, seinen Zustand nicht ändern zu können, besaß die ungewollte Reise durchaus ihren Reiz. Die nächtliche, sternenbeschienene Brière erschien selbst aus der Perspektive eines Vogels unendlich und breitete sich nach allenSeiten aus. Halme und flache Inseln reihten sich aneinander, die schwarzwässrigen Kanäle erinnerten an finstere Adern.
Wunderschön!
Tanguy hatte es aufgegeben, seinen Zustand beeinflussen zu wollen. Er genoss notgedrungen die Aussicht. Szomors Ende berührte ihn kaum, auch wenn er seinem Mentor dankbar war, dass er ihm zu Hilfe gekommen war. Auf diese Weise hatte Tanguy nicht selbst Hand an den Hexer legen müssen.
Gleich einem unsichtbaren Ballon trieb er dahin, über die Salzfelder, über die Stadt auf die Küstenlinie zu.
Nun wurde es gefährlich.
Das darf unter keinen Umständen geschehen.
Fließendes Wasser konnte er nicht überqueren, das hatte er herausgefunden. Was geschehen würde, wenn er ins Meer stürzte, wusste er nicht. Sein Gefühl sagte ihm, dass er es zu seinem eigenen Wohl nicht ausprobieren sollte.
Tanguy bündelte seine Gedanken, doch es gab keinen Angriffspunkt für
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