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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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die er sehr praktisch fand.
    Er erreichte den Ausgang, an dem zwei Uniformierte an einem Feuerkorb saßen und lange Stöcke mit Fleischstücken darüberhielten; es roch nach kross gebratenem Schweinebauch. Die Musketen lehnten an der Mauer.
    »Verzeiht mir, Messieurs«, sagte Tanguy von weitem, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie trugen blaue Röcke mit weißem Lederwehrgehänge, in denen Rapiere steckten. Auf den Schöpfen saßen breitkrempige Hüte und verdeckten teilweise die Gesichter.
    Tanguy blieb wie angewurzelt stehen.
    Das Flaumkinn!
    Damit hatte er beim allerbesten Willen nicht gerechnet. DieÜberraschung machte ihn perplex und starr wie eine Statue: Der rechte der Stadtwächter musste der Räuber sein, der ihn im Hain erstochen hatte!
    Der andere Wächter hob den Kopf und blickte in seine Richtung. »Was gibt es?«
    Was tue ich?
Schnell wandte sich Tanguy ab. »Ich … habe mich geirrt. Ich dachte, ein Freund von mir wäre am Tor«, gab er mit verstellter Stimme zurück. »Euch einen guten Abend, Messieurs.« Er bog in die Seitengasse ab und blieb nach zwei Schritten stehen, so dass sie ihn nicht mehr sehen konnten.
    Mein Mörder! Ich habe meinen Mörder gefunden!
    Er ballte die Hände zu Fäusten. Das Schicksal war gut zu ihm und gewährte ihm einen Ausgleich für den entwischten Jungen.
    Das Wiedersehen mit dem Flaumkinn setzte eine schmerzende Bilder- und Gefühlsflut in Gang. Er sah Gwenn vor sich, in ihrem schönen Kleid, wie sie von ihm weg aus dem Wald rannte; wie Malo sich auf ihn warf; wie die Klinge des Rapiers auf seine Brust gesetzt und nach unten gedrückt wurde. Tanguy hörte das Geräusch, mit dem das Metall durch ihn fuhr, und sein Herz verspürte einen schmerzhaften Stich. Er hielt sich aufkeuchend die Stelle, wo einst die Wunde gewesen war. Und dabei hörte er das Lachen der Gesetzlosen, die um ihn herumgestanden hatten, als er sein erstes Leben ausgehaucht hatte …
    Ich will die ganze Bande. Keiner darf meiner Rache für Gwenn entkommen!
    Hastig überlegte er, wie er vorgehen sollte. Am einfachsten war es, er wartete bis zum Dienstende des Mannes, verfolgte ihn und brachte ihn zum Sprechen. Wie man Schmerzen bereitete, wusste Tanguy. Schnell sah er um die Ecke.
    Nein, ich täusche mich nicht. Er ist es.
    Er blickte zum Himmel. Die Nächte waren im Sommer kurz, und er wusste nicht, ob ihm die Zeit ausreichte. Außerdem unterstellteer dem Flaumkinn, auch ein Vampir zu sein, der sich an die Gesetze von Tag und Nacht zu halten hatte.
    Ich bringe ihn dazu, sich mit den anderen zu treffen. Am besten täusche ich eine wertvolle Ladung vor, die ich nach Saint Nazaire bringen möchte. Als ein Kaufmann. Ist das ein guter Plan? Werden sie darauf hereinfallen?
    Tanguy zwang sich zur Ruhe, fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht.
Nein, denk nach! Er könnte mich erkennen. Ich muss meine Züge verändern
, fiel es ihm ein. Die Judaskinder beherrschten die Kunst, ihr Aussehen zu verwandeln, hatte ihm Szomor gesagt.
    Wie stelle ich es an?
    Er drückte und schob versuchsweise an den Wangenknochen in der Hoffnung, sie auf diese Weise verformen zu können.
    Nichts, verdammt!
    Er trat vor Wut und Enttäuschung gegen die Wand. Seine Aufregung legte sich nicht, und die Angst, die Gunst der Stunde zu vergeuden, wurde auch nicht weniger. Da kam ihm eine Idee!
    Schnell wie ein Sturmwind fegte er durch Guérande zurück zur Villa des Marquis, wo der Leichnam des Bediensteten noch immer auf der Schwelle lag. Niemand hatte ihn entdeckt. Um den deformierten Kopf hatte sich inzwischen eine Blutlache gebildet, erste dunkle Bahnen rannen die Stufen hinab.
    Schade, schade. Ich hätte es doch trinken sollen. Jetzt schmeckt es nicht mehr.
Tanguy machte einen Schritt über den Toten hinweg und zog ihn an den Beinen ins Innere, drückte die Tür zu. Im riesigen Haus herrschte vollkommene Stille, es roch nach Veilchen und Jasmin.
    Darin sollte ich meine Maskerade finden.
    Er schlug den Weg ins obere Stockwerk ein und suchte die Privatgemächer. Schnell wurde er fündig und entdeckte einen Schrank, in dem der Marquis seine abgetragenen Gehröcke und Gewänder verstaute.
    Für meine Zwecke ist es ausreichend.
    Eine halbe Stunde später näherte sich Tanguy dem Osttor als Edelmann in teurer Garderobe und schwenkte eine Rotweinflasche, die aus dem Keller des Marquis stammte. Eine Weißhaarperücke trug er verrutscht halb im Gesicht. »Ah, die tapferen Wachen«, rief er und markierte den Lallenden. »Bewacht die ehrenwerten

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