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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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beeindruckt von der Tat.«
    Beeindruckt? Sollte er nicht viel eher erschrocken sein?
    Der Durst und die Lust auf frisches, junges Blut ließen ihn die warnende Stimme in sich absichtlich überhören. Dabei war das Verhalten des Jungen ein einziges Mahnzeichen. So benahm sich kein Bursche in seinem Alter. Weder besaß er eine derartige Abgebrühtheit noch eine solche Kaltherzigkeit. Er langte nicht einmal nach der Pistole, um sich zu verteidigen.
    »So? War er das?«, knurrte Tanguy und befand sich keine zwei Schritte mehr von dem Jungen entfernt. »Dann bin ich gespannt, was dein eingebildeter, arroganter Comte sagt, wenn er deinen Leichnam in den Armen hält!« Er grabschte blitzschnell nach ihm und hielt ihn am Arm fest, zeigte ihm die Fänge und riss den Mund weit auf.
    Der Junge – lächelte. Die braunen Augen schauten plötzlich nach links.
    Ein Schatten schoss heran, und gleich darauf drosch ein dicker Ast gegen Tanguys Arm. Der Schlag sprengte den Griff, der Junge war frei. Das Knacken seines gebrochenen Knochens hörte er zuerst, dann kam der Schmerz. Gleichzeitig traf ihn ein zweiter Hieb gegen die Brust, der ihn von den Beinen schleuderte, durch die Luft fliegen und gegen den Weidenstamm schlagen ließ. Die dünnen Äste erzitterten unter dem Aufprall.
    Während Tanguy noch an der Rinde nach unten rutschte und versuchte, den Angreifer genauer zu erkennen, walzte der mannsgroße Schemen laut grollend und rasend auf ihn zu. Kaum berührten seine Schuhe den weichen Grasboden, umklammerte schon eine behaarte Klaue seinen Hals und drückte fest zu. Tanguy würgte und fauchte gleichzeitig.
    Eine weit geöffnete, zahnbewehrte Schnauze zuckte heran und wollte in sein Gesicht beißen. Tanguy versuchte, den Kopf wegzudrehen, und griff seinerseits nach dem Feind. Stinkender Pesthauch wehte ihm aus dem schwarzen Rachen entgegen.
    Loup-Garou!
    Er stand einem echten Werwolf gegenüber, der sich offenkundig als Beschützer des Jungen verstand. Er hatte die Mischform gewählt: auf zwei Beinen und menschengroß, aber doch ein Tier mit wolfsähnlichem Kopf und einem kräftigen Körperbau.
    Tanguys stählerner Griff gegen die Gurgel des Werwolfs verhinderte den fatalen Biss, doch er würde die Bestie nicht langehalten können. Die Kraft des wütenden Wesens mit den glutrot leuchtenden Augen imponierte und erschreckte gleichermaßen. Szomor war dagegen schwach und kein Vergleich.
    Tanguy erkannte innerhalb eines Herzschlags, dass er in einem normalen Kampf ohne Aussicht auf Erfolg wäre.
    Ich muss flüchten!
    Er versuchte, sich aus der Umklammerung zu winden, aber die gelben, dicken Nägel hatten sich in seine Kehle geschlagen. Die Wunden brannten, warm sickerte das Blut über die Haut.
Sein
kostbares Blut! Tanguy hing fest. »Ich töte dich!«, fauchte er und hoffte, die Bestie ließe sich beeindrucken.
    Die Antwort bestand aus einem furchtbaren Brüllen, das meilenweit durch die Brière trug. Wieder wurde er von fauligem Atem eingehüllt. »Du wirst meinen Enkel nicht berühren«, knurrte der Werwolf. »Ich hätte dich in Guérande umbringen und verbrennen lassen sollen, Bauer.«
    Der … Comte?
    Tanguy schlug mehrmals gegen den haarigen, sehnigen Arm, der ihn festhielt, doch er richtete nichts aus. Stattdessen erhielt er einen Faustschlag, der ihn durchschüttelte.
    »Das werde ich nun nachholen. Du gehörst ohnehin ins Reich der Toten!« Der Werwolf zog ihn zu sich heran und biss ihm in die Kehle, schüttelte ihn in Raubtiermanier.
    Der Schmerz war unbeschreiblich, aber Schreien vermochte Tanguy nicht. Er wurde umhergeschleudert wie ein nasses Tuch. Sein Nacken knirschte unter dem Druck der Kiefer, die Pein wurde unerträglich. Einer solchen brachialen Gewalt war er nicht gewachsen.
    Er wird mir den Kopf abbeißen, wenn ich nicht …
    In Panik tastete Tanguy nach den Augäpfeln des Loup-Garou und drückte sie ein. Flüssigkeit rann über seine Finger.
    Aufjaulend ließ die Bestie von ihm ab.
    Tanguy war frei, hustete und spie Blut. Sein Hals schien ausrohem Fleisch zu bestehen, der kleinste Luftzug schmerzte. Er verspürte … Angst. Schreckliche Angst! An dem Feind vorbei sah er den lächelnden Jungen stehen, der die Hände auf den Rücken gelegt hatte und den Kampf verfolgte.
    Ich muss verschwinden! Im Moor bin ich ihm überlegen.
    Der schnaubende Werwolf regenerierte seine Verletzung bereits, die Augen entstanden neu. Das Rot leuchtete noch intensiver als vorher. Der Comte war hasserfüllt. Die scharfen Klauen

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