Judassohn
die dürren Finger seines Mentors. »Wie könnte ich nicht?« Er lächelte falsch.
Szomor lächelte nicht weniger unaufrichtig zurück, dann drückte er die Tür des Verschlags zu.
***
KAPITEL V
Frühsommer 1782, Frankreich,
Süd-Bretagne, Guérande
Tanguy hetzte durch die Gassen des schlafenden Guérande. Er war voller Vorfreude auf dem Weg zum Haus des Comte de Morangiès.
In dieser Nacht löse ich mein Versprechen ein, petit Seigneur.
Er trug die einfache Kleidung eines Schilfbauern, die er sich gestohlen hatte. Außer ihm waren eine Handvoll Menschen unterwegs. Ein paar Betrunkene torkelten von Wand zu Wand und sangen unanständige Lieder. Gelegentlich wurde ihnen aus den Fenstern ein Fluch zugeworfen, oder der Inhalt eines Nachttopfes verfehlte sie knapp.
Tanguy grinste.
Es erinnert mich an manche Nacht in Guérande, nach dem Besuch im
Pour l’âme. Er gönnte den Männern den Spaß und erhöhte die Geschwindigkeit seiner Schritte. Er bewegte sich derart schnell, dass normale Augen ihn ausschließlich mit Wissen und viel Mühe wahrnehmen konnten.
Tanguy gelangte in das Viertel, in dem die Reichen und Adligen lebten, und erreichte die Villa des Comte.
Im Gegensatz zu seinem ersten Besuch fehlten die Wachen vor der Tür. Die Mehrzahl der Fenster war unbeleuchtet.
Komme ich zu spät?
Tanguy flog aufgeregt die Stufen zur Tür hinauf und klopfte. Es war die einfachste Art, um an Wissen über den Verbleib des jungen Comte zu gelangen. Seine Vorfreude drohte in Enttäuschung umzuschlagen.
Niemand machte ihm auf.
»Ich weiß, dass ihr da seid!« Er schlug mit der Faust gegen das Holz, dass die Tür in den Angeln hüpfte und das Rumpeln weit durch das Haus hallen musste. Nur Taube und Tote würden es nicht hören.
Eine Lampe näherte sich dem Eingang, wie er am Lichtschein sah, der durch die Ritzen fiel. Die Tür wurde geöffnet, und ein verschlafener Bediensteter in einem Nachthemd mit einer langen Jacke darüber sah ihn verwundert an. »Was gibt es, Bursche?«, grummelte er.
»Ich habe eine Botschaft für den petit Seigneur.«
Er gähnte Tanguy offen an. »Da bist du zu spät. Er ist nach dem tragischen Unfall seines Großvaters abgereist.« Der Mann drückte die Tür zu.
Tanguy stellte den Fuß in den Spalt. »Die Nachricht ist wichtig. Wo finde ich ihn?«
Der Mann sah anklagend auf den versperrenden Schuh. »Er ist abgereist. Mehr weiß ich nicht.«
»Du wirst doch wohl wissen, wohin dein Herr gereist ist?«
»Er ist nicht mein Herr. Ich diene dem Marquis de Vertus und de Goello, der ein Freund des Comte ist.« Der Bedienstete trat mit dem Absatz auf Tanguys Zehenspitzen. »Weg damit!«
Tanguy fühlte den Schmerz, doch er nahm den Fuß nicht aus der Tür. »Mach das nicht noch einmal, oder es endet unschön mit dir.« Schnell sah er nach rechts und links die einsame Straße entlang. »Hast du irgendeinen Ort aufgeschnappt, durch den sie reisen? Geh und frag die anderen im Haus. Es ist wichtig, dass der Seigneur die Nachricht bekommt!«
»Ich bin allein, und jetzt verschwinde! Ich habe dir gesagt, was ich weiß.« Der Mann trat nochmals zu, dieses Mal kräftiger; drei Zehen brachen hörbar unter dem Tritt. »Oh! Tat das weh?«
Noch während der Mann gehässig grinste, packte Tanguy ihn am Jackenaufschlag und zerrte ihn nach vorn. Gleichzeitignahm er den Schuh weg, packte mit der anderen Hand den Türklopfer und zog mit Wucht am Eisenring.
Der Kopf des überraschten Bediensteten geriet zwischen Rahmen und Tür, der Schädel brach krachend, das Gesicht wurde spitz wie das einer Maus. Rote Linien schossen aus der Nase, Blutströme ergossen sich auf die Schwelle.
»Ich habe dich gewarnt.« Tanguy roch den Lebenssaft, der vergeudet über den Boden sickerte. Auch wenn er durstig war, erst musste er seine Rachsucht befriedigen. Er ließ Ring und Kragen los, wandte sich um und ging. Hinter ihm rumpelte es, als der Diener tot auf den Boden fiel.
Diese Werwolfbrut darf mir nicht entkommen.
Ihm stand ein Lauf zu allen Stadttoren bevor, um die Wachen zu befragen. Vielleicht hatte einer von ihnen den Tross bemerkt. Falls nicht, würde es mit der Einlösung seines Todesversprechens kompliziert und höchst aufwendig werden.
Am Westtor erinnerte sich niemand an eine Gruppe mit einem adligen Jungen, auch am Nordtor gab es keine erfreulichen Neuig keiten für Tanguy. Er machte sich auf zum Osttor der Stadt und nutzte seine übermenschliche Geschwindigkeit, um Zeit zu sparen. Eine vampirische Gabe,
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