Judastöchter
morgen.«
»Sicher, Wilson.« Sia genoss den nächsten Schluck. »Soll ich was vorbereiten?«
Er hob anklagend die Augenbrauen. »Unterstehen Sie sich!« Er wandte sich um und ging. Wie immer würde er unter seinem Sakko eine schusssichere Weste und zwei Pistolen mit sich tragen; am rechten Unterarm verbarg er einen langen Dolch aus gehärtetem Silber. Er wusste mit allen Waffen umzugehen. Auf der Schwelle blieb er stehen. »Frau Karkow, habe ich Ihnen eigentlich schon einmal gesagt …« Er stockte.
»Was?«, fragte Sia freundlich.
»Dass ich stolz bin. Auf uns. Auf Justine, die mir meine englischen Häscher vom Hals geschafft hat. Auf Sie.« Er lächelte und neigte den Kopf. »Es ist mit Abstand der ungewöhnlichste Hausstand, in dem ich jemals dienen durfte. Es toppt meine Zeit bei Mister Byrne um Längen.«
Sia lächelte. »Danke, Wilson.«
Das sehe ich auch so.
Mit dem Umzug war alles besser geworden. Sie hatten eine Villa zum Verlieben und neue Freunde gefunden sowie eine Scheinexistenz als Autorin für Sia aufgebaut: Unter einem Männerpseudonym schrieb sie ziemlich erfolgreiche Vampirromane. Und Elena gedieh prächtig.
Emma wäre stolz auf uns.
»Habe ich schon erwähnt, dass unser Mädchen die Beste in der letzten Mathearbeit war?« Wilson seufzte glücklich. »Es ist schön, Pate zu sein.« Er wandte sich um zum Gehen. »Welche Entwicklung! Ich hatte wirklich befürchtet, dass sie einen bleibenden Schaden davontragen würde.«
»Einen bleibenden Schaden?« Sia hatte keine Ahnung, was er meinte.
»Die Wiederbelebung in Oslo. Elena war ganze zwanzig Sekunden tot.« Wilson verließ das dunkle Zimmer. »Bis später, Frau Karkow. Verzeihen Sie, aber ich muss wirklich los.«
Die Tür fiel ins Schloss. Sekunden danach hörte Sia, wie der Wagen gestartet wurde und davonfuhr.
Dann wurde es still im weitläufigen Anwesen.
Sia konnte sich nicht rühren. Die Überraschung hielt sie gepackt und drückte sie in den Sitz.
Wiederbelebt!
Ihr Mund war trocken, die Gedanken rasten.
Elena kann keine Vampirin sein! Sie … benimmt sich normal, geht zur Schule und …
Eine weitere Stimme in ihrem Kopf ergänzte:
regeneriert Verletzungen schnell, hat Sonnenallergie, oft gerötete Augen, wenn die Sonne stark scheint, ist überall die Beste, hasst Bäche und Flüsse …
Sia hielt eine Hand in den flachen, schmalen Lichtstrahl.
Es ist die Wirkung des Sanctums.
Sie spürte das beginnende Kribbeln.
Und Sonnenallergie ist nicht selten. Emma hatte auch welche, hat Elena erzählt.
Sia verdrängte jeglichen Verdacht, dass ihre Tochter ihr ähnlicher und dazu außergewöhnlicher war, als ihr lieb sein konnte.
Elena ist ein herausragendes Mädchen. Mehr nicht.
Sie nippte am Tee, der trotz Zucker und Milch plötzlich bitter und metallisch schmeckte.
Mehr nicht.
Nachwort
M it »Judastöchter« ist die Serie um Sia, Elena, Eric und Justine vorerst beendet. Damit hat sich ein Bogen vom ersten Buch, »Ritus«, bis heute gespannt und gezeigt, dass die verschiedensten Kreaturen nicht aneinander vorbeikommen. Ein derartiges Finale mit dem Prominenten-Line-up musste einfach sein! Und ein wenig Tragik sollte ebenso rein, wenn ich schon nicht alle Hauptcharaktere umgebracht habe.
Das bedeutet nicht, dass ich mich nie wieder mit ihnen beschäftigen werde, aber ich möchte vorher ein paar andere Ideen verfolgen, die zwar ins Genre, aber nicht unbedingt zu Wandlern und Vampiren passen. Verbindungslinien sind dennoch nicht ausgeschlossen. Das kennt man ja inzwischen von mir, und es bringt unglaublichen Spaß.
Auch haben Vampire nach wie vor und immer noch einiges zu bieten, gerade weil ich mich bei ihnen am Volksglauben orientiere, der schier unerschöpflich ist.
Vorstellen kann ich mir ebenso, mal einen Wandler in den Mittelpunkt eines Romans zu stellen und eine Geschichte aus seiner
Sicht zu schildern.
Das Motto lautet: Alles zu seiner Zeit. Zuerst kann und soll etwas Neues folgen. Besser gesagt: Ein neuer Fokus wird gelegt … Zu viel verraten möchte ich nicht.
Mein herzlicher Dank geht an die Testleserinnen Sonja Rüther (www.briefgestoeber.de) und Petra Ney, die mal wieder mehr gesehen haben als ich, an Lektorin Anne Rudolph, die gerne die Schlange gerettet hätte, und Lektorin Angela Kuepper sowie den Knaur-Verlag.
Über Markus Heitz
Markus Heitz, geboren 1971, studierte Germanistik und Geschichte. Seit er mehrfach mit dem Deutschen Phantastikpreis ausgezeichnet
wurde, gilt er zu Recht als Großmeister der
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