Judith McNaught
Gesicht war gerötet, ihre
Brust hob und senkte sich bei jedem Atemzug und ihre dunkelbewimperten Augen
hatten sich geweitet vor Verwirrung und Verlangen. Sie sah so aus, als wüßte
sie nicht, was sie tun sollte. »Ich glaube, es ist an der Zeit, daß wir uns mit
etwas anderem beschäftigen«, sagte er und traf damit die Entscheidung für sie
beide.
»Woran denken Sie?« fragte sie
bebend.
»Woran ich denke«, erwiderte Stephen
trocken, »und was wir tun werden, ist Welten voneinander entfernt.« Er beschloß,
ihr die Grundzüge des Schachspiels beizubringen.
Das war ein Fehler. Sie schlug ihn
zweimal hintereinander, weil er offensichtlich seine Gedanken nicht beim Spiel
hatte.
Sechzehntes Kapitel
Am folgenden Tag vermied Stephen sorgfältig
jeden Gedanken an sie, aber als sein Kammerdiener ihm die Kleider für den
Abend zurechtlegte, entdeckte er, daß er sich auf das Abendessen mit Sheridan
freute wie auf keine andere Mahlzeit seit langem. Er hatte bei Helenes
Schneiderin anständige Kleider für sie bestellt und darauf bestanden, daß ihr
zumindest ein Kleid heute schon geliefert würde und die anderen sofort nach
Fertigstellung. Als die Modistin ihn hysterisch darauf hingewiesen hatte, daß
der Saisonbeginn bevorstand und alle ihre Näherinnen ohnehin schon Tag und
Nacht arbeiteten, hatte Stephen sie nur höflich gebeten, ihr Bestes zu tun. Da
Helene bei ihren Einkäufen in dem exklusiven Geschäft astronomische Summen
ließ, vertraute er darauf, daß die Schneiderin ihm eine ordentliche Garderobe
zusammenstellen würde. Die Eile würde sich eben in einer exorbitanten Rechnung
niederschlagen.
Innerhalb von ein paar Stunden kamen
drei Näherinnen ins Haus, und obwohl er nicht so naiv war, anzunehmen, daß man
seinen Gast in dieser kurzen Zeit in die neueste Mode kleiden könnte, malte er
sich doch neugierig aus, wie sie wohl in einem richtigen Kleid aussähe. Während
er seinen Kopf zurücklehnte, damit sein Kammerdiener ihn unter dem Kinn
einseifen konnte, dachte Stephen, daß Charise Lancaster wohl alles mit der ihr
eigenen Ausstrahlung tragen würde, ob es nun eine goldene Vorhangkordel oder
ein Ballkleid war.
Seine Erwartung wurde nicht
enttäuscht. Der Abend versprach Außerordentliches, als sie das Eßzimmer
betrat. Das tizianrote Haar fiel über ihre Schultern und umrahmte ihr lebhaftes
Gesicht, und in ihrem hellblauen Wollkleid mit tiefem eckigem Ausschnitt und
enganliegendem Mieder, das die vollen Brüste und die schlanke Taille betonte
und schließlich in einfachen Falten bis auf den Boden floß, sah sie zugleich
exotisch und unschuldig aus. Schüchtern wich sie Stephens offen bewunderndem
Blick aus und nickte statt dessen freundlich den Lakaien zu, die auf
Instruktionen wartend an der Anrichte standen, machte Komplimente über die
edlen Blumenschalen und die Silberkandelaber auf dem Tisch, dann schlüpfte sie
anmutig auf ihren Stuhl ihm gegenüber. Erst jetzt hob sie ihr Gesicht und
lächelte ihn so warm, so offenherzig und so voller geheimer Versprechungen an,
daß Stephen erst nach einer Weile merkte, daß sie ihm nur für das Kleid dankte.
» ... Sie haben jedoch einen viel zu extravaganten Stil gewählt«, schloß sie
ruhig und gelassen.
»Das Kleid ist überhaupt nicht
extravagant und nicht im mindesten so reizend wie die Frau, die es trägt«,
erwiderte Stephen. Sie blickte zur Seite, als mache er sie wirklich verlegen,
und Stephen mußte sich nachdrücklich ins Gedächtnis rufen, daß sie keineswegs
beabsichtigte, ihn mit ihrem schmelzenden Lächeln, dem anmutigen Schwung ihrer
Hüften oder ihren schwellenden weichen Brüsten zu verführen. Außerdem war dies
weder die Zeit noch der Ort, um an leuchtend tizianrotes Haar auf Satinkissen
oder volle Brüste, die sich in seine Hände schmiegten, zu denken. Also wandte
er seine Gedanken unverfänglicheren Themen zu und fragte sie, wie sie heute
ihren Tag verbracht hätte.
»Ich habe Zeitung gelesen«,
erwiderte sie, und während das Kerzenlicht auf ihrem Haar schimmerte und sich
in ihren lachenden Augen widerspiegelte, begann sie, ihn mit einem vergnügten
Kommentar über die überschwenglichen Berichte zu unterhalten, die sie im
hinteren Teil der Zeitungen über das Treiben der Gesellschaft während der
Londoner Saison gelesen hatte. Ursprünglich hatte sie dabei nur beabsichtigt,
so erklärte sie, soviel wie möglich aus den Zeitungen über seine Bekannten und
die anderen Angehörigen der Gesellschaft zu lernen, bevor er sie
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