Judith McNaught
der Saison einen geeigneten Ehemann
für sie zu finden, nicht nur eine ideale, sondern auch eine durchführbare
Lösung zu sein. Er zeigte sich in der Tat so begeistert davon, daß er allen heute
früh eine Nachricht geschickt hatte, sie möchten zwei Listen mitbringen: eine
mit den Namen der in Frage kommenden Männer und eine weitere, auf der die Dinge
verzeichnet standen, die bei ihrer richtigen Einführung sonst noch bedacht
werden mußten.
Da er nun ein fest umrissenes Ziel
vor Augen hatte, sah Stephen keinen Grund, warum er es nicht mit der gleichen
Effizienz und Entschiedenheit angehen sollte, mit der er seine anderen
Geschäftserfolge zu erreichen pflegte. Wie sein Bruder und ein paar wenige
andere Adlige zog es auch Stephen vor, seine Geschäfte und
Finanzangelegenheiten selbst zu regeln, und er hatte sich mit seiner Fähigkeit
und Kühnheit einen guten Ruf erworben. Im Gegensatz zu vielen anderen
Adligen, die sich immer mehr verschuldeten, weil sie geschäftliche
Angelegenheiten für eine Sache der Kaufleute und damit für unter ihrer Würde
hielten, vermehrte Stephen sein an sich schon großes Vermögen ständig.
Natürlich tat er es aus Vernunftgründen, daneben aber auch, weil er die Herausforderung,
sein Urteilsvermögen und sein Timing zu prüfen, überaus genoß; er liebte die
Befriedigung nach einem er folgreichen Kauf oder der guten Anlage eines
Vermögenswertes.
Er beabsichtigte, Sherry so zu
behandeln, als sei sie ein weiterer, äußerst wünschenswerter 'Vermögenswert',
den er anlegen wollte. Die Tatsache, daß es sich bei Sherry um eine Frau und
nicht um ein seltenes Kunstwerk oder ein Lager voller kostbarer Gewürze
handelte, spielte für sein Denken oder seine Strategie keine Rolle, abgesehen
davon, daß er auf jeden Fall sicherstellen wollte, daß ihr Erwerber ihrer
würdig und verantwortungsbewußt war. Das einzige Problem bestand darin, ihr
Einverständnis zu bekommen, daß derart über sie verfügt wurde.
Über dieses delikate Problem hatte
er während seines morgendlichen Bades nachgedacht. Als Damson schließlich ein
elegantes hellbraunes Jackett aus einem der Schränke geholt und es Stephen zur
Begutachtung vorgelegt hatte, war er zu der besten – und einzigen – Lösung
gekommen. Anstatt ihr einfach eine weitere Lüge aufzutischen, würde Stephen ihr
einen Teil der Wahrheit erzählen. Aber erst, nachdem er sich mit seiner Familie
beraten hatte.
Sherry stellte die übrigen Bücher,
die sie durchsehen wollte, zurück, ebenso wie Feder und Papier, die sie aus
einer Schreibtischschublade geholt hatte. Dann drehte sie sich um, und er bot
ihr seinen Arm. Die Geste war so galant und das Lächeln in seinen Augen so
warm, daß sie vor Stolz und Freude fast platzte. In seinem hellbraunen Rock,
mit den langen Beinen in kaffeebraunen Hosen und glänzenden braunen Stiefeln
sah Stephen Westmoreland aus wie der Mann ihrer Träume – groß, breitschultrig
und atemberaubend schön.
Als sie die Treppe hinuntergingen,
warf sie verstohlen einen weiteren Blick auf sein scharf gezeichnetes Profil.
Sie bewunderte den Stolz und die Stärke, die sein schönes, gebräuntes Gesicht
ausstrahlte. Mit diesem trägen, vertraulichen Lächeln und diesen tiefblauen,
durchdringenden Augen mußte er seit Jahren Frauenherzen in ganz Europa
gebrochen haben. Zweifellos hatte er viele dieser Frauen auch geküßt, denn das
verstand er gut, und schließlich hatte er auch nicht im geringsten gezögert,
sie zu küssen. Tausende von Frauen in ganz Europa hatten ihn wahrscheinlich
genauso unwiderstehlich gefunden wie sie, und doch hatte er, aus irgendeinem
ihr unverständlichen Grund, sie allen anderen vorgezogen. Das kam ihr so
unwahrscheinlich, so unfaßbar vor, daß es ihr Unbehagen bereitete. Statt sich
jedoch Zweifeln und Ungewißheit hinzugeben, griff Sherry das unbeschwerte
Gespräch, das sie in der Bibliothek geführt hatten, wieder auf.
Als sie sich den offenen Türen
seines Arbeitszimmers näherten, lächelte sie ihn neckend an. »Da ich mich an
Ihren Antrag nicht erinnern kann, hätten Sie wenigstens vorgeben können, Sie
hätten mir einen richtigen Antrag gemacht – auf den Knien. Angesichts meines
geschwächten Gesundheitszustandes wäre das ritterlicher gewesen.«
»Ich bin kein besonders ritterlicher
Mann«, erwiderte Stephen ungerührt grinsend.
»Dann hoffe ich zumindest, daß ich
soviel Verstand hatte, Sie sehr lange warten zu lassen, bevor ich Ihren
ungalanten Antrag annahm«, gab sie streng zurück
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