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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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erholte ich mich bei Freunden im Tessin in deren «Villa Silvia». Dort kam folgende Postkarte an, gerichtet an die «Lungenheilstätte Villa Silvia».]
     
     
    4771   Eickelborn, 1/​2/​74
     
    Sehr geehrte Herren!
    Ich erlaube mir, da Herr Paul Moor, Patient bei Ihnen, mein, ich darf sagen, bester Freund ist, seit 1967, Ihnen zu schreiben. Seitdem hat er sehr viel Zeit und Geld aufgewandt, sich um mich zu kümmern, schriftstellerisch und auch persönlich. Er besuchte mich oft und sprach mir Mut zu. Er ist der wichtigste Mensch für mich nach meiner Frau. Teilen Sie mir bitte mit, ob seine Lungenentzündung wirklich eine ist, wie es ihm geht und wie es um ihn steht. Ich muß es wissen. Sollte es zu ernst sein, werde ich es ihm nicht mitteilen. Mit vielen Dank im voraus bin ich Ihr
    Jürgen Bartsch
    ***
    Die Geschichte von Jürgen Bartsch nach seiner Eheschließung ist leicht auf einen Nenner zu bringen – «ICH HABE DOCH KEINEN ANDEREN WUNSCH, ALS ZU MEINER FRAU ZU KOMMEN» – um seine Entlassung zu erringen, war er zu allem bereit, aber jeder Weg, egal, wie vielversprechend er zunächst aussah, führte ihn in eine Sackgasse. Die Spannung zwischen ihm und den Eickelborner Ärzten wurde immer schlimmer. Im Laufe der Zeit, als seine Lage immer hoffnungsloser wurde, wußte ichkaum mehr, was ich schreiben sollte; mehrmals in den Briefen der letzten Jahre finde ich Vorwürfe («Reicht es nicht mehr zu Briefen?»).
    Mittlerweile versuchte Rolf Bossi weiterhin, einen bereitwilligen Chirurgen für die stereotaktische Operation zu finden («Zur Veranschaulichung der
völlig hoffnungslosen, ja, sinnlosen Situation
füge ich Ablichtung eines Schreibens des Westfälischen Krankenhauses Eickelborn an Herrn Jürgen Bartsch vom 4.   6.   74 sowie eine Eingabe des Herrn Bartsch vom 17.   5.   74 bei   … in der Angelegenheit bringe ich Ihnen zwei Schreiben in Fotokopie zur Kenntnisnahme, damit Sie die völlig aussichtslose, ja, sinnlose Situation, wie sie augenblicklich besteht, besser beurteilen können»).
    Am 14.   Juli 1974 schrieb Jürgen über einen Mitpatienten an Bossi:] «…   Er scheint schizophren zu sein. Kein Wort des Streites war vorausgegangen. Wir sangen alte Volkslieder («Ich bete an die Macht der Liebe», «Es löscht das Meer die Sonne aus», «Jenseits des Tales», usw.), als mir der Faden riß. Was ich später (war sofort bewußtlos) von drei oder vier Leuten erfuhr: aus heiterem Himmel setzte er mir einen Schlag ins Gesicht, der mich sofort bewußtlos machte. Als ich umkippte, fing er schon an, zu treten, vor die Beine, vor den Leib und vor die rechte Hand (Uhr kaputt, sprang ab). Dann lag ich auf der Erde, hilflos. Er fing an, meinen Kopf zu treten, ein-, zwei-, drei- viermal. Ich wurde zwischendurch etwas wach, wollte schreien, aber da kam schon der nächste Tritt. Mein Leben habe ich im Grunde den Pflegern STEPPUHN und ALBERTI zu verdanken, die dazwischengingen und den Mann abführten   … Nun muß ich erst in einer Einzelzelle bleiben, bis die Anstalt weiß, WAS SIE WILL . Ende.»
    ***
    [Schließlich mußte auch ich die bittere Realität anerkennen: Nachdem die stereotaktische Operation nun endgültig ausgeschlossen schien, blieb als Allerletztes die Kastration, und ich teilte Jürgen mit, daß ich seinen Antrag darauf – unter den gegebenenUmständen – auch unterstützen würde. Eickelborn hatte sich endgültig durchgesetzt.]
     
     
    4771   Eickelborn, 29/​9/​74
     
    Lieber Paule!
    Habe recht vielen Dank für Deinen letzten lieben langen Brief. Ich habe mich wieder sehr gefreut. Du bist mein bester Freund, und ich hätte bei Dir nicht die geringsten Bedenken, Dir zu erzählen (OPERATION), ob was läuft, ob es gut aussieht, ob es schlecht aussieht, usw. Ich weiß, daß Du, alter Freund, keinen Artikel daraus machen würdest (was jeden echten Arzt abschreckt). Aber hier scheint keiner das zu wissen. Man mißtraut Dir. Du bist nun mal «PRESSE».
    Auh der von Dir so geschätzte Dr.   Teuber mißtraut Dir zutiefst, wie ich hören mußte. «Gut, er ist Ihr bester Freund. Ist er gut für Sie, wo er von der Presse ist? Bricht nicht sein journalistischer Riecher durch, vergißt er Ihre Lage dann nicht? Was versteht er unter helfen? Rummel machen?»
    Du siehst, alter Paule, man ist Dir von vorne her gut, aber nur, um sich gut zu stellen. Ich habe ein Abkommen mit Dr.   Teuber getroffen, daß von mir her (der Bericht im «Bild am Sonntag» war ohne jede Hilfe Giselas entstanden, wir

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