Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
ist.
Alles, was es hier Neues gibt, habe ich Dir ja ausführlich geschildert. Auch die Schwierigkeit der steigenden Aggression auf beiden Seiten.
Daß Du mir einen Besuch für das Ende des Monats versprochen hast, reißt mich etwas aus meiner Lethargie. Ich freue mich schon sehr darauf. Klasse!
Ja, lieber Paule, ich meine, UNTER DEN GEGEBENEN UMSTÄNDEN BITTE ich Dich, und auch Anti-Freund Werremeier, zu schreiben. So wie die Lage ist, muß ein Gegengewicht her, der Meinung ist auch Dr. Teuber.
1000 liebe Grüße Dein BLACK SHEEP
Jürgen
***
[Bei diesem Besuch lernte ich zum erstenmal Jürgens Verlobte Gisela kennen. Auf seine Weise hatte er schon längst versucht, mich auf diese Begegnung vorzubereiten. Bei unserem ersten Gespräch, nachdem er mir von der Verlobung geschrieben hatte, bat ich ihn, sie mir zu beschreiben. Seine ersten Worte: «Na, eine Schönheitskönigin ist sie nicht.» Er erzählte mir, sie sei während der Geburt von ihrem bald danach verstorbenen Zwilling «fast zu Tode zertrampelt» worden, was drei kosmetische Gesichtsoperationen nötig gemacht hatte. Als ich Gisela kennenlernte, ließ mich ihre sofort spürbare gespannte Haltung denken: Wie muß es für ein solches Mädchen sein, sich bei jeder neuen Bekanntschaft fragen zu müssen: Wie reagiert dieser Mensch auf mein Aussehen? Ich habe mir die größte Mühe gegeben, ihre offensichtliche Gespanntheit zu mildern, aber zum Schluß des ersten Treffens und auch danach immer hatte ich den Eindruck, daß sie sich mit mir nicht wohl fühlte. Gleich tags darauf hat mir Jürgen geschrieben. Er hatte damals Schwierigkeiten mit einem Mitpatienten, den er «den Großen» nannte. Nach meiner Erinnerung war dies mein letzter Besuch in Eickelborn, wo kein Beamter ununterbrochen zugegen war. Bei späteren Besuchen war nicht nur immer einer anwesend, sondern ergenierte sich auch nicht, sich in das Gespräch einzuschalten, wenn er es für richtig hielt.]
Eickelborn, 29/10/1973
… Meine Gisela hatte ich Dir ja schon beschrieben. Meine Frage: warst Du enttäuscht? (Sie hat das letzte der Papiere, Heiratsurkunde der Eltern, mitgebracht. Alles liegt jetzt wohlverwahrt auf der Abteilung Verwaltung.) Schreib mal was darüber. Hat sie einen positiven oder negativen Eindruck auf Dich gemacht? Mit dem Händchenhalten usw. sind wir erst angefangen, nachdem Du fort warst, lieber Paule. Die Atmosphäre war noch etwas fremd, da Ihr Euch ja noch nicht kanntet. Insofern wäre noch näheres Kennenlernen nötig, aber das wird ja kommen! Insofern (trotz meines ehrlichen Angebotes, dazubleiben) war es vielleicht richtig und sehr taktvoll von Dir, das Liebespaar alleine zu lassen … Den Begrüßungs- und Abschiedskuß hast Du ja nicht mitbekommen. Da hast Du eben doch was verpaßt …
Was sagt sie über Dich? «Die Zeit war viel zu kurz, aber er ist mir sehr sympathisch.» Auch dachte sie, daß alle Amerikaner klein und dick seien. Ich weiß, daß Du jetzt lachst. Hast auch allen Grund dazu. Dann lobte ich Dich anschließend über den grünen Klee und über alles, was Du tatest und tust. Junge, Du wärst vielleicht rot angelaufen vor Verlegenheit.
Giselas Familie hat sich endgültig von ihr abgewandt. Giselas Reaktion: sie tat dasselbe, zumindest vorerst. ES BLIEB NACH VIELEN VERSUCHEN NICHTS ANDERES ÜBRIG. So wird keiner von ihrer Seite kommen. Es werden etwa zehn oder elf Personen sein, also ganz intim.
Jedenfalls, wenn nichts klappen würde, sähe es sehr, sehr böse aus. Alle vorhergegangene Hilfe wäre Bärendienst gewesen. Das festzustellen, würde ungeheuer weh tun, und eventuell über meine Kräfte gehen. Du weißt, was es bedeuten würde, bester Freund.
Ich spare streng für Giselas Hochzeitsgeschenk. Auch einkaufenwerde ich nur sehr wenig. Ihr Hochzeitsgeschenk wird ja zum Teil von mir bezahlt. Eine wunderbare Halskette. Sie wird mir wahrscheinlich Kleidung (Hemd – Pullover – Kombination) schenken. Kein Gedanke an Aussteuer, bei uns beiden. Da müßte sich schon viel, viel ändern.
So, lieber Paule (Ich habe für den Hochzeitstag eine kleine Hellsehvorstellung eingeplant. Richtig? Falsch?) für heute also viele Grüße von Deinem besten Freund
Jürgen
***
[Nicht nur mir war schon längst klargeworden, daß Jürgen offensichtlich zum Schreiben begabt war; ich hatte ihn auch ermutigt, diese Begabung zu entwickeln.]
4771 Eickelborn, 16/11/73
Schön, alter Freund, daß Du mich im Februar
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