Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
alle Probleme negierende, selbstlose Liebe. Welche Opfer sie bringt, kannst Du nicht einmal ahnen. Nur ein Beispiel. ALLES, was ich zur Zeit trage, stammt von ihr. Sie macht auch die Wäsche. Sie macht alles, alles, alles. Meine Mutter ist natürlich eifersüchtig. Aber damit war zu rechnen …
Finanziell – ja, aber Du bist nicht der einzige, mit meinen Eltern geht es rapide bergab. Die letzten zehn Rechnungen sind unbezahlt,Papi erwartet diese Woche eine Pfändung. Wie soll das weitergehen? Eine sehr, sehr große Sorge. Aber alles muß überstanden werden.
***
[Ehe Jürgen ins Landeskrankenhaus Eickelborn gekommen war, hatte ich immer, ohne Ausnahme, ein ausgezeichnetes Verhältnis zu seinen Ärzten, aber in Eickelborn hatte ich von Anfang an den Eindruck, mein Einfluß auf Jürgen sei unwillkommen. Folgenden Brief habe ich aus dieser Zeit aufgehoben; er bezeugt die äußerst verzwickte Lage:]
WESTFÄLISCHES LANDESKRANKENHAUS EICKELBORN
Fachkrankenhaus für Psychiatrie
Hauptstraße 19
4771 Eickelborn (über Soest)
25. Oktober 1974
Aktenzeichen/im Antwortschreiben bitte angeben
Dr. Tr./Pr.
Sehr geehrter Herr Moor!
Ihr Schreiben vom 22. Oktober 1974 ist zwar an Herrn Dr. Schneller adressiert, inhaltlich aber doch wohl ganz wesentlich an mich gerichtet, so daß ich im Einvernehmen mit Herrn Dr. Schneller die Beantwortung Ihres Briefes übernehmen möchte, soweit er mich betrifft und das, was ich gesagt haben soll.
Herr Bartsch hat mich des öfteren in Briefen nicht nur an Sie falsch zitiert. Tatsächlich habe ich gerade den an Sie geschriebenen Brief vom 29. 9. in einem Gespräch mit Herrn Bartsch ein paar Tage später zum Anlaß genommen, um ihm unmißverständlich zu erklären, daß ich ihm in Zukunft Briefe zurückgeben würde, in denen er mich falsch zitiert und mir Worte in den Mund legt, die ich nie gesagt habe.
Leider erlaubt mir meine ärztliche Schweigepflicht sowie die Wahrung des Briefgeheimnisses nicht, Ihnen ein Detail zu berichten,aus welchem Sie ganz eindeutig entnehmen könnten, in welcher Weise er meine Äußerungen manipuliert und entstellt.
In einem Gespräch, in welchem ich ihn bat, in der jetzt laufenden Angelegenheit nicht zu drängeln und im Alleingang oder in Zusammenhang mit Ihnen oder anderen zu versuchen, die Sache zu beschleunigen, gab er sich sehr verständig und versprach auch, sich in jeder Richtung zurückzuhalten. Natürlich haben wir dabei auch über Sie gesprochen, jedoch nicht in der Weise in der er versucht, es darzustellen.
In dem
Selbstporträt des Jürgen Bartsch
schreiben Sie auf Seite 276: «Und die eigentliche psychotherapeutische Behandlung? Frau Dr. S. meint, daß das eine Sache zwischen Arzt und Patienten sei, daß man darüber, über die Themen, welche man gerade behandelt usw., eigentlich überhaupt nicht sprechen solle.» Wenn nun hier, wie Herr Bartsch Ihnen bereits geschrieben hat, die Gesprächstherapie in andere Hände übergegangen ist, so bin ich der Auffassung, daß wir diese gleichen Bedingungen akzeptieren sollten. Dies bedeutet jedoch nicht, daß Barrieren zwischen ihm und Ihnen aufgerichtet würden. Herr Bartsch kann nach wie vor seine Sorgen – mit den oben erwähnten Einschränkungen – mit Ihnen besprechen. Ich werde aber in Zukunft ganz besonders darauf achten, daß er in seinen Briefen die Dinge nicht entstellt wiedergibt.
Mit freundlichen Grüßen!
Ihr
/s/M. Teuber
(Dr. Teuber)
Landesobermedizinalrat
[Von anderer Hand hinzugefügt:]
In der Hoffnung, daß Ihre Sorgen jetzt ausgeräumt sind grüße ich Sie freundlichst
Ihr D. Schneller
***
22 Das Ende
[Die Universitätsärzte stellten schließlich fest, Jürgen sei für die stereotaktische Operation doch nicht geeignet. Nun blieb, absolut endgültig, nur die Entmannung übrig. Zum allerersten Mal bat er mich, ihn nicht zu besuchen: «… im MOMENT wäre es eventuell nicht ratsam. Du könntest nicht viel mit mir anfangen.» Die ganz ungewöhnliche Verwirrung und die vielen Schreibfehler seiner Briefe vom Beginn des Jahres 1975 deuten entweder auf außerordentliche innerliche Unruhe oder auf medikamentöse Betäubung, möglicherweise auf beides.
Im Herbst 1975, nachdem ich ein Jahr beim Institut für Psychotherapie in Berlin hospitiert hatte, hat mich das Präsidium des Berliner Psychoanalytischen Instituts auch zur «informatorischen» Ausbildung aufgenommen; bald danach, in Hamburg, wohnte ich zum
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