Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
besuchen möchtest. Hoffentlich klappt es auch. Keiner würde sich mehr darüber freuen als ich. Aber Du weißt ja, der Weg hier ins Ländliche ist doch ziemlich beschwerlich.
Du meinst, lieber Freund, ob ich nicht «solo» schreiben soll. Ich werde es nicht tun. Zu meinen Briefen habe ich im Moment noch mehr Zutrauen. Es ist doch eine ganz andere Stil-Form, welche ich scheue («Tagebuch», «Autobiographie», usw.). Bist Du im Grunde nicht dieser Ansicht? Die Brieferzählform von Freund zu Freund hat sich doch als beste erwiesen, meine ich. Oder denkst Du nun anders? Gedichte, Kurzgeschichten, oder Ähnliches? Es mag Talent zu diesen Dingen da sein, aber dazu müßte ich doch viel, viel ruhiger sein, innerlich, und das wiederum hängt mit der Therapie zusammen.
Die Psychotherapie durch Dr. Teuber hatte schon begonnen, wie Du weißt, und wir verstanden uns. Er ist sensibel, was bei solcher Behandlungsart Voraussetzung ist. Er fühlt auch Nuancen heraus, die einen bedrücken.
[Als ich Jürgen zu dieser Zeit in Eickelborn besuchte, war er so verlegen wie noch nie zuvor. Er entschuldigte sich tausendmal, ehe er über die Lippen bringen konnte, worum es ging: Seine Eltern hatten ihm apodiktisch mitgeteilt, wenn ich zu seiner Hochzeit käme, würden
sie
fernbleiben. – Nachdem die Möglichkeit zu einer psychoanalytischen Behandlung nun fast völlig zunichte geworden war, kam die fragwürdige, umstrittene stereotaktische Gehirnoperation für die Eickelborner Ärzte wieder auf die Tagesordnung.]
4771 Eickelborn, 7/12/73
Nach Deinen zwei letzten Briefen sehe ich ein, daß ich eine Mitschuld, allerdings eine ungewollte, an dem Rummel habe. Ich habe mehr als genug gelitten darunter. Dr. Teuber sieht Dich lediglich als Pressemann an. Er hat alle Presseleute ausgeschlossen, dazu gehörst nun auch Du, lieber Paule. Von mir aus kann ich Dir auch das neue Datum nicht nennen. Es ist mir untersagt.
Was ist mit uns beiden? Besuche wie bis jetzt wird Dr. Teuber wohl untersagen. Aus seiner Sicht wird er sagen: «Er hat schon geschrieben, wer sagt mir, daß er diesmal nicht schreibt?» So sieht es im Moment durch Mißverständnisse recht böse aus, alter Freund.
Für heute, alter Freund, alles erdenklich Gute sendet Dir Dein
Jürgen
***
21 Briefe XII
Eickelborn, 5/1/74
Lieber alter Freund Paule!
Gisela hat sich geändert. Sie hat selber gemerkt, daß meine Eltern Dich einfach hassen, und wir halten nun beide zu Dir, alter Paule. Ist das eine gute Nachricht für Dich? Ich hoffe es doch sehr.
Nun zur Hochzeit: es war sehr schön. Obwohl Herr Mätzler und Pfleger Block und Frau Dr. Suhr aus terminlichen Gründen absagen mußten. So war es engster Familienkreis. Ich hatte Angst vor gedrückter Stimmung. I wo. Die Stimmung war prächtig, wir waren echt fröhlich. Gisela, Pfleger Garten (von mir eingeladen, schenkte mir schöne Steckblumen), Pfleger Schindler (früher Oberkellner, machte es prima), in schwarz. Gisela und ich dunkelblau als Paar.
Die standesamtliche Trauung war schön, aber die kirchliche (mit unserem alten Pastor Kaiser) noch weit schöner. Ringetausch, der Pastor schenkte uns eine Familienkerze für Taufe, Geburtstag, usw. Er gab uns auch das Familienstammbuch mit Heiratsurkunde, Taufscheinen, Geburtsurkunden (!), usw.
Mein Vater war sehr zugänglich, und ab Mittag, beim Zusammensein, stieg die Stimmung sehr. Gitter, Haft, Beschwernisse usw., an diesem einen Tag alles vergessen. Wir haben Gott sei Dank mal wieder viel gelacht. Meine liebe Maria war da, Cousine Ruth war da, Herr RA Ufer war da (ICH HABE IHM DIESELBE BITTE ZUGETRAGEN WIE DIR, ALTER FREUND).
Mittagessen Gulasch und Gemüse. Prächtig. Auf dem Altar zwei Vasen Tulpen, von den Pflegern gestiftet, Porzellan aus dem Casino, später Bohnenkaffee mit Gebäck. Ein Fotograf der Anstalt lief herum und machte gute Bilder. Dann aß er mit. Auch Pastor Kaiser blieb, und gab seine Erinnerungen zum Besten. Eine dicke Flasche Sekt wurde genehmigt. Gisela und ich saßen zusammenund liebten uns mit Blicken. Alle waren froh, glücklich, und es war, als seien alle enttäuscht, als es vorbei war. Was dann kam (Presse-Geier, Verfolgungsjagd) weißt Du, lieber Paule. Frau Dr. Suhr: GUTSCHEIN, 150 DM; Gisela (mir), ein Armband, Manschettenknöpfe, Gisela (bekam) zweimal Besteck, eine Schallplatte, Blumen, Halskette, dicken Armreif. Ja, ja … [So endet der Brief.]
***
[Nach einer Lungenentzündung
Weitere Kostenlose Bücher