Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
auch wenn das Herz nicht dran glauben kann. Das Gefühl mußt Du überwinden. UND DU WIRST ES. Dank der Analyse, nicht zuletzt. Dort hast Du es gelernt.
A propos Analyse. Eigentlich stimmen Eure Gedanken. Ich würde bei einer neuerlichen Enttäuschung zusammenklappen, im Bett oder in die Box. Es wäre nach all dem Streß unvermeidlich.
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DAS GLEICHE AN DIREKTOR SCHNELLER
4771 Eickelborn, 10/9/1973
Lieber Paule!
Zwar werde ich eventuell im April (Hochzeitstermin) nicht mehr hier sein. Das ZWINGT meine Braut und mich aber, GERADE weil die freundliche Stellung der Anstalt zur Genehmigung der Heirat uns die Heirat möglich macht, den Hochzeitstermin vorzuziehen. Weshalb? Weil die Stellungnahme + Genehmigung im anderen Bundesland ja automatisch nicht mehr gilt. Darum müssen wir einfach vorziehen. Gisela und meine Eltern habe ich unterrichtet.Ich dachte an Weihnachten, das Fest der Liebe. Ich bitte Dich also förmlich, lieber Freund förmlich und korrekt, mein, unser
TRAUZEUGE
zu sein. ‹JA?› ‹NEIN?› . (Keine Ausflüchte, Du MUSST kommen!) Ich bitte um baldige Nachricht und, wenn bekannt, die Ausrichtung des Kalenders.
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4771 Eickelborn, 18/9/73
DANK FÜR DEINE KARTE!
… Vor kurzem wurde ich zum Dr. Schneller gerufen. Die Anstalt hat keinerlei Einwände gegen Giselas und meine Heirat. Da ich verlegt werden soll, ist eine Art Zwangs-Situation eingetreten. Die Heiratserlaubnis gilt nur hier, und woanders, besonders unter so schlechten Bedingungen wie in Hamburg, würde der dortige Landschaftsverband die Heirat eventuell ABLEHNEN. Wir denken nicht daran, solche verfahrene Situation eintreten zu lassen. Wir MUSSTEN also die Heirat vorziehen. Alle sind einverstanden, Dr. Suhr, Dr. Teuber, Dr. Schneller, meine Eltern, Direktor Norda, meine Großeltern, mein Bruder, der Pfarrer, und hoffentlich auch Du. Vor kurzem kam Gisela sogar zweimal hintereinander. Der Herr Direktor versprach mir, auf meine Sorgen hin, in die Hand, uns 100%ig die Heirat NOCH HIER IN EICKELBORN stattfinden zu lassen. Er hat es also sozusagen bei seiner Ehre versprochen. Laß uns schauen, ob man Wort hält. Aber kein Wort kommt über Deine Lippen, alter Paule, klar? Das Datum behält die Anstalt sich selber vor und auch die Ausrichtung. Welche Kirche, ob eine kleine Feier, ob und wieviele Gäste, z. B. Du, alter Rochen, wo die standesamtliche Trauung stattfindet, usw. Meine Eltern können sicher viel beitragen als Hilfe. Alles aber muß natürlich noch im einzelnen durchgesprochen werden.
Falls es mit Hamburg nichts werden sollte, wird die Anstalt sich noch in Göttingen bemühen, versprach Dr. Teuber mir. Undim äußersten Notfall, so sagt sie, hat Frau Dr. SUHR noch zwei Fachleute «in petto». Wenn alles schiefgehen sollte, würde ich nicht wissen, wie es überhaupt weitergehen sollte. Soviel für heute vom von Dir verlassenen (Besuch)
Jürgen
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[In Hamburg war Prof. Ulrich Ehebald, nach Diskussion mit einem holländischen Kollegen, der mit solchen Gefangenensituationen viel Erfahrung hatte, voller Bedauern zu dem Entschluß gekommen, daß die einzigen Unterbringungsmöglichkeiten für Jürgen in Hamburg eine Psychoanalyse, auch beim besten Willen, unmöglich machen würden.]
Eickelborn, 11/10/1973
… Eigentlich, lieber Paul, habe ich das Gefühl, daß wir die derzeitigen Probleme (verdammt genug) ausführlich besprochen haben. Mit Hamburg ist es, aus den uns (auch Dr. Schneller) bekannten Gründen, vollständig aus. Die richtige, einzig richtige Entscheidung in diesem Fall. Rückfall in Schlimmeres als im Gefängnis-Milieu – NEIN! Da ist es die einzige Möglichkeit, sich auf Göttingen zu konzentrieren.
Ohne Hilfe von Frau Dr. Suhr wären wir da ziemlich aufgeschmissen. Gut, daß es zwei Analytiker sind, die sich interessieren. Ich bin fast sicher, daß Frau Dr. Suhr mit ihrem natürlichen, angeborenen Charme und mütterlicher Wärme es schafft, die oder den Analytiker zu 100%igen zu machen. (Zur Zeit, als wir zusammen waren, war es ein Mutter-Sohn-Verhältnis, und es ging von ihr aus, und es war nicht falsch. Ihre Behandlung hätte ohne dies nicht den starken Erfolg haben können. Sie versuchte, mir im nachhinein etwas der mütterlichen Zuwendung zu geben, welche mir in der Kindheit verwehrt wurde, und es gelang auch sehr gut.) Was ja bei Analytikern fast ein Wunder ist. Und was natürlich im Moment nur Hoffnung
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