Jugend ohne Gott (German Edition)
Sie sind barfuß. Was treiben sie dort, warum verstecken sie sich? Ich warte. Jetzt erhebt sich der eine Bub und geht auf den Hof zu, plötzlich schrickt er zusammen und verkriecht sich rasch wieder hinter der Hecke. Ich höre einen Wagen rasseln. Ein Holzfuhrwerk mit schweren Pferden fährt langsam vorbei. Als es nicht mehr zu sehen ist, geht der Bub wieder auf den Hof zu, er tritt an die Haustür und klopft. Er muß mit einem Hammer geklopft haben, denke ich, denn es dröhnte so laut. Er lauscht und die beiden anderen auch. Das Mädel hat sich emporgereckt und schaut über die Hecke. Sie ist groß und schlank, geht es mir durch den Sinn. Jetzt klopft der Bub wieder, noch lauter. Da öffnet sich die Haustür und eine alte Bäuerin erscheint, sie geht gebückt auf einen Stock. Sie sieht sich um, als würde sie schnuppern. Der Bub gibt keinen Ton von sich. Plötzlich ruft die Alte: »Wer ist denn da?!« Warum ruft sie, wenn der Bub vor ihr steht? Jetzt schreit siewieder: »Wer ist denn da?!« Sie geht mit dem Stock tastend an dem Buben vorbei, sie scheint ihn nicht zu sehen – ist sie denn blind? Das Mädel deutet auf die offene Haustür, es sieht aus, als wärs ein Befehl, und der Bub schleicht auf Zehenspitzen ins Haus hinein. Die Alte steht und lauscht. Ja, sie ist blind. Jetzt klirrts im Haus, als wär ein Teller zerbrochen. Die Blinde zuckt furchtbar zusammen und brüllt: »Hilfe! Hilfe!« – da stürzt das Mädel auf sie los und hält ihr den Mund zu, der Bub erscheint in der Haustür mit einem Laib Brot und einer Vase, das Mädel schlägt der Alten den Stock aus der Hand – ich rase hinab. Die Blinde wankt, stolpert und stürzt, die drei Kinder sind verschwunden.
Ich bemühe mich um die Alte, sie wimmert. Ein Bauer eilt herbei, er hat das Geschrei gehört und hilft mir. Wir bringen sie in das Haus, und ich erzähle dem Bauer, was ich beobachtet habe. Er ist nicht sonderlich überrascht: »Jaja, sie haben die Mutter herausgelockt, damit sie durch die offene Tür hinein können; es ist immer dieselbe Bagage, man faßt sie nur nicht. Sie stehlen wie die Raben, eine ganze Räuberbande!«
»Kinder?!«
»Ja«, nickt der Bauer, »auch drüben im Schloß, wo die Mädchen liegen, haben sie schon gestohlen. Erst unlängst die halbe Wäsch. Passens nur auf, daß sie Ihnen im Lager keinen Besuch abstatten!«
»Nein – nein! Wir passen schon auf!«
»Denen trau ich alles zu. Es ist Unkraut und gehört vertilgt!«Der verschollene Flieger
Ich gehe ins Lager zurück. Die Blinde hat sich beruhigt und war mir dankbar. Wofür? Ist es denn nicht selbstverständlich, daß ich sie nicht auf dem Boden liegen ließ? Eine verrohte Gesellschaft, diese Kinder!
Ich halte plötzlich, denn es wird mir ganz seltsam zumute. Ich entrüste mich ja gar nicht über diesen Roheitsakt, geschweige denn über das gestohlene Brot, ich verurteile nur. Warum bin ich nur nicht empört? Weil es arme Kinder sind, die nichts zum Fressen haben? Nein, das ist es nicht.
Der Weg macht eine große Krümmung, und ich schneide ihn ab. Das darf ich mir ruhig leisten, denn ich habe einen guten Orientierungssinn und werde das Zeltlager finden.
Ich gehe durch das Unterholz. Hier steht das Unkraut und gedeiht. Immer muß ich an das Mädel denken, wie es sich reckt und über die Hecke schaut. Ist sie der Räuberhauptmann? Ihre Augen möchte ich sehen. Nein, ich bin kein Heiliger!
Das Dickicht wird immer schlimmer.
Was liegt denn dort?
Ein weißer Karton. Darauf steht mit roten Buchstaben: »Flugzeug«. Ach, der verschollene Flieger! Sie haben ihn noch nicht gefunden.
Also hier bist du abgestürzt? War es ein Luftkampf oder ein Abwehrgeschütz? Bist du ein Bomber gewesen? Jetzt liegst du da, zerschmettert, verbrannt, verkohlt. Karton, Karton!
Oder lebst du noch? Bist schwer verwundet, und sie finden dich nicht? Bist ein feindlicher oder ein eigener?Wofür stirbst du jetzt, verschollener Flieger?
Karton!
Und da höre ich eine Stimme: »Niemand kann das ändern« – es ist die Stimme einer Frau. Traurig und warm. Sie klingt aus dem Dickicht.
Vorsichtig biege ich die Äste zurück.
Dort sitzen zwei Mädchen vom Schloß. Mit den Beinen, kurz und dick. Die eine hält einen Kamm in der Hand, die andere weint.
»Was geht er mich denn an, der verschollene Flieger?« schluchzt sie. »Was soll ich denn da im Wald herumlaufen? Schau, wie meine Beine geschwollen sind, ich möcht nicht mehr marschieren! Von mir aus soll er draufgehen, der verschollene Flieger,
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