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Jugend ohne Gott (German Edition)

Jugend ohne Gott (German Edition)

Titel: Jugend ohne Gott (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ödön von Horvath
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hin. Ich kenne mich nicht mehr aus, und es fällt mir wieder ein: »Jeder, der mein Kästchen anrührt, stirbt!«
    Unsinn, Unsinn!
    »Weißt du, wo der N jetzt steckt?« frage ich plötzlich.Er bleibt ganz ruhig.
    »Woher soll ich das wissen? Sicher hat er sich verirrt. Ich hab mich auch schon mal verirrt« – er erhebt sich, und es macht den Eindruck, als würde er nicht mehr weiterreden wollen.
    Da bemerke ich, daß sein Rock zerrissen ist.
    Soll ich es ihm sagen, daß er lügt? Daß der N es ihm niemals gestanden haben konnte, denn ich, ich habe doch sein Tagebuch gelesen –
    Aber warum lügt der Z?
    Nein, ich darf gar nicht daran denken! –
    Warum sagte ich es ihm nur nicht sofort, gleich gestern, als er den N verprügelte! Weil ich mich schämte, vor meinen Herren Schülern zu gestehen, daß ich heimlich mit einem Draht ein Kästchen erbrochen hab, obwohl dies in bester Absicht geschehen ist – verständlich, verständlich! Aber warum verschlief ich nur heute früh?! Richtig, ich saß ja in der Nacht im Wald und machte das Maul nicht auf! Und jetzt, jetzt dürfte es wenig nützen, wenn ich es aufmachen würde. Es ist zu spät.
    Richtig, auch ich bin schuld.
    Auch ich bin der Stein, über den er stolperte, die Grube, in die er fiel, der Felsen, von dem er hinunterstürzte – Warum hat mich heut früh nur niemand geweckt?! Ich wollte mich nicht unschuldig verurteilen lassen und schlief, statt mich zu verteidigen. Mit meinem freien Willen wollte ich einen dicken Strich durch eine Rechnung machen, aber diese Rechnung war bereits längst bezahlt.
    Ich wollte uns alle retten, aber wir waren bereits ertrunken.
    In dem ewigen Meer der Schuld.Doch wer ist denn schuld, daß das Schloß verdarb.
    Daß es sich nicht mehr zusperren ließ?
    Egal ob offen oder zu, ich hätte es sagen müssen! Die Pfade der Schuld berühren sich, kreuzen, verwickeln sich.
    Ein Labyrinth. Ein Irrgarten – mit Zerrspiegeln. Jahrmarkt, Jahrmarkt!
    Hereinspaziert, meine Herrschaften!
    Zahlt Buße und Strafe für die Schuld eueres Daseins! Nur keine Angst, es ist zu spät! – Am Nachmittag zogen wir alle aus, um den N zu finden. Wir durchsuchten das ganze Gebiet, riefen »N!« und wieder »N!«, aber es kam keine Antwort. Ich erwartete auch keine.
    Es dämmerte bereits, als wir zurückkehrten. Durchnäßt, durchfroren.
    »Wenn das so weiterregnet«, flucht der Feldwebel, »gibts noch die schönste Sündflut!«
    Und es fiel mir wieder ein: als es aufhörte zu regnen und die Wasser der Sündflut wichen, sprach der Herr: »Ich will hinfort nicht mehr die Erde bestrafen um der Menschen willen.«
    Und wieder frage ich mich: hat der Herr sein Versprechen gehalten? Es regnet immer stärker.
    »Wir müssens der Gendarmerie melden«, sagt der Feldwebel, »daß der N abgängig ist.«
    »Morgen.«
    »Ich versteh Sie nicht, Herr Lehrer, daß Sie so ruhig sind.«
    »Ich denke, er wird sich verirrt haben, man verirrt sich ja leicht, und vielleicht übernachtet er auf irgendeinem Bauernhof.«
    »In der Gegend dort gibts keine Höfe, nur Höhlen.«
    Ich horche auf. Das Wort versetzt mir wieder einen Schlag.
    »Wollen es hoffen«, fährt der Feldwebel fort, »daß er in einer Höhle sitzt und daß er sich nichts gebrochen hat.«
    Ja, wollen wir hoffen. –
    Plötzlich frage ich den Feldwebel: »Warum haben Sie mich heute früh nicht geweckt?«
    »Nicht geweckt?« Er lacht. »Ich hab Sie in einer Tour geweckt, aber Sie sind ja dagelegen, als hätt Sie der Teufel geholt!«
    Richtig, Gott ist das Schrecklichste auf der Welt.

Am letzten Tage unseres Lagerlebens kam Gott.
    Ich erwartete ihn bereits.
    Der Feldwebel und die Jungen zerlegten gerade die Zelte, als er kam.
    Sein Erscheinen war furchtbar. Dem Feldwebel wurde es übel, und er mußte sich setzen. Die Jungen standen entsetzt herum, halb gelähmt. Erst allmählich bewegten sie sich wieder, und zwar immer aufgeregter.
    Nur der Z bewegte sich kaum.
    Er starrte zu Boden und ging auf und ab. Doch nur ein paar Meter. Immer hin und her.
    Dann schrie alles durcheinander, so schien es mir.
    Nur der Z blieb stumm.
    Was war geschehen?
    Zwei Waldarbeiter waren im Lager erschienen, zweiHolzfäller mit Rucksack, Säge und Axt. Sie berichteten, daß sie einen Jungen gefunden hätten. Sie hatten seinen Schulausweis bei sich.
    Es war der N.
    Er lag in der Nähe der Höhlen in einem Graben, unweit der Lichtung. Mit einer klaffenden Kopfwunde. Ein Stein mußte ihn getroffen haben oder ein Schlag mit irgendeinem stumpfen

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