Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jugend ohne Gott (German Edition)

Jugend ohne Gott (German Edition)

Titel: Jugend ohne Gott (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ödön von Horvath
Vom Netzwerk:
undefinierbares Gefühl sagt, gewissermaßen der Jagdinstinkt des Kriminalisten, habe ich auch bestimmte Gründe für meine Behauptung. Er war es nicht! Überlegen Sie sich doch mal die Motive der Tat! Er erschlägt seinen Mitschüler, weil dieser sein Tagebuch las. Aber was stand denn in dem Tagebuch? Doch hauptsächlich die Affäre mit jenem verkommenen Mädchen. Er schützt das Mädchen und verkündet unüberlegt: ›Jeder, der mein Tagebuch anrührt, stirbt!‹ – gewiß, gewiß! Es spricht alles gegen ihn und doch auch wieder nicht alles. Abgesehen davon, daß die ganze Art und Weise seines Geständnisses einer ritterlichen Haltung nicht ganz entbehrt, ist es denn nicht auffallend, daß er über den eigentlichen Totschlag nicht spricht? Kein Wörtchen über den Hergang der Tat! Warum erzählt er sie uns nicht? Er sagt, er erinnere sich nicht mehr. Falsch! Er könnte sich nämlich gar nicht erinnern, denn er weiß es ja nicht,wie, wo und wann sein bedauernswerter Mitschüler erschlagen wurde. Er weiß nur, es geschah mit einem Stein. Man zeigt ihm Steine, er kann sich nicht mehr erinnern. Meine Herren, er deckt die Tat eines anderen!«
    »Aber der zerrissene Rock und die Kratzer an den Händen?«
    »Gewiß, er hat den N auf einem Felsen getroffen und hat mit ihm gerauft, das erzählt er uns ja auch mit allen Einzelheiten. Aber daß er ihm dann nachgeschlichen ist und hinterrücks mit einem Stein – nein-nein! Den N erschlug ein anderer, oder vielmehr: eine andere!«
    »Sie meinen jenes Mädchen?«
    »Jawohl, die meine ich! Sie beherrschte ihn, sie beherrscht ihn noch immer. Er ist ihr hörig. Meine Herren, wir werden auch die Psychiater vernehmen!«
    »Ist das Mädchen als Zeugin geladen?«
    »Natürlich! Sie wurde kurz nach dem Morde in einer Höhle verhaftet und ist bereits längst abgeurteilt, samt ihrer Bande. Wir werden Eva sehen und hören, vielleicht schon morgen.«
    »Wie lange wird der Prozeß dauern?«
    »Ich rechne mit zwei bis drei Tagen. Es sind zwar nicht viele Zeugen geladen, aber, wie gesagt, ich werde mit dem Angeklagten scharf kämpfen müssen. Hart auf hart! Ich fechte es durch! Er wird wegen Diebstahlsbegünstigung verurteilt werden – das ist alles!«
    Ja, das ist alles.
    Von Gott spricht keiner.

Vor dem Justizpalast standen dreihundert Menschen. Sie wollten alle hinein, doch das Tor war zu, denn die Einlaßkarten waren bereits seit Wochen vergeben. Meist durch Protektion, aber nun wurde streng kontrolliert.
    In den Korridoren kam man kaum durch.
    Alle wollten den Z sehen.
    Besonders die Damenwelt.
    Vernachlässigt und elegant, waren sie geil auf Katastrophen, von denen sie kein Kind bekommen konnten.
    Sie lagen mit dem Unglück anderer Leute im Bett und befriedigten sich mit einem künstlichen Mitleid.
    Die Pressetribüne war überfüllt.
    Als Zeugen wurden unter anderen vorgeladen: die Eltern des N, die Mutter des Z, der Feldwebel, der R, der mit Z und N das Zelt geteilt hatte, die beiden Waldarbeiter, welche die Leiche des Ermordeten gefunden hatten, der Untersuchungsrichter, die Gendarmen, usw. usw.
    Und natürlich auch ich.
    Und natürlich auch Eva.
    Aber die war noch nicht im Saal. Sie sollte erst vorgeführt werden.
    Der Staatsanwalt und der Verteidiger blättern in den Akten.
    Jetzt sitzt Eva in einer Einzelzelle und wartet, daß sie drankommt.
    Der Angeklagte erscheint. Ein Wachmann begleitet ihn.
    Er sieht aus wie immer. Nur bleicher ist er geworden,und mit den Augen zwinkert er. Es stört ihn das Licht. Sein Scheitel ist noch in Ordnung.
    Er setzt sich auf die Angeklagtenbank, als wärs eine Schulbank.
    Alle sehen ihn an.
    Er blickt kurz hin und erblickt seine Mutter.
    Er starrt sie an – was rührt sich in ihm?
    Scheinbar nichts.
    Seine Mutter schaut ihn kaum an.
    Oder scheint es nur so?
    Denn sie ist dicht verschleiert – schwarz und schwarz, kein Gesicht.
    Der Feldwebel begrüßt mich und erkundigt sich, ob ich sein Interview gelesen hätte. Ich sage »ja«, und der Bäckermeister N horcht auf meine Stimme hin gehässig auf.
    Er könnt mich wahrscheinlich erschlagen.
    Mit einer altbackenen Semmel.

Der Präsident des Jugendgerichtshofes betritt den Saal, und alles erhebt sich. Er setzt sich und eröffnet die Verhandlung.
    Ein freundlicher Großpapa.
    Die Anklageschrift wird verlesen.
    Z wird nicht des Totschlags, sondern des Mordes angeklagt, und zwar des meuchlerischen.
    Der Großpapa nickt, als würde er sagen: »Oh, diese Kinder!«
    Dann wendet er sich dem Angeklagten

Weitere Kostenlose Bücher