Jugend ohne Gott (German Edition)
zweitens: wovon wollen Sie jetzt leben? Ich nehme an, daß Sie keine Sägewerksaktien besitzen, da Sie sich ja damals so heftig für die Heimarbeiter einsetzten, für die Kinder in den Fenstern – erinnern Sie sich?«
Ach, die Kinder in den Fenstern! Die hatte ich ja ganz vergessen!
Und das Sägewerk, das nicht mehr sägt –
Wie weit liegt das alles zurück!
Und ich sage: »Ich habe nichts. Und ich muß auch meine Eltern unterstützen.«
Er sieht mich groß an und sagt dann nach einer kleinen Pause: »Ich hätte eine Stellung für Sie.«
»Was?! Eine Stellung?!«
»Ja, aber in einem anderen Land.«
»Wo?«
»In Afrika.«
»Bei den Negern?« Es fällt mir ein, daß ich »der Neger« heiße, und ich muß lachen.
Er bleibt ernst.
»Warum finden Sie das so komisch? Neger sind auch nur Menschen!«
Wem erzählen Sie das? möchte ich ihn fragen, aber ich sage nichts dergleichen, sondern höre es mir an, was ermir vorschlägt: ich könnte Lehrer werden, und zwar in einer Missionsschule.
»Ich soll in einen Orden eintreten?«
»Das ist nicht notwendig.«
Ich überlege. Heute glaube ich an Gott, aber ich glaube nicht daran, daß die Weißen die Neger beglücken, denn sie bringen ihnen Gott als schmutziges Geschäft.
Und ich sage es ihm.
Er bleibt ganz ruhig.
»Das hängt lediglich von Ihnen ab, ob Sie Ihre Sendung mißbrauchen, um schmutzige Geschäfte machen zu können.«
Ich horche auf. Sendung?
»Jeder Mensch hat eine Sendung«, sagt er.
Richtig!
Ich muß einen Fisch fangen.
Und ich sage dem Pfarrer, ich werde nach Afrika fahren, aber nur dann, wenn ich das Mädchen befreit haben werde.
Er hört mir aufmerksam zu.
Dann sagt er:
»Wenn Sie glauben zu wissen, daß der fremde Junge es tat, dann müssen Sie es seiner Mutter sagen. Die Mutter muß alles hören. Gehen Sie gleich zu ihr hin« –
Ich fahre zur Mutter des T.
Der Pedell im Gymnasium gab mir die Adresse. Er verhielt sich sehr reserviert, denn ich hätte ja das Haus nicht betreten dürfen.
Ich werde es nie mehr betreten, ich fahre nach Afrika. Jetzt sitze ich in der Straßenbahn.
Ich muß bis zur Endstation.
Die schönen Häuser hören allmählich auf und dann kommen die häßlichen. Wir fahren durch arme Straßen und erreichen das vornehme Villenviertel.
»Endstation!« ruft der Schaffner. »Alles aussteigen!« Ich bin der einzige Fahrgast.
Die Luft ist hier bedeutend besser als dort, wo ich wohne.
Wo ist Nummer dreiundzwanzig?
Die Gärten sind gepflegt. Hier gibts keine Gartenzwerge. Kein ruhendes Reh und keinen Pilz.
Endlich hab ich dreiundzwanzig.
Das Tor ist hoch, und das Haus ist nicht zu sehen, denn der Park ist groß.
Ich läute und warte.
Der Pförtner erscheint, ein alter Mann. Er öffnet das Gitter nicht.
»Sie wünschen?«
»Ich möchte Frau T sprechen.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Ich bin der Lehrer ihres Sohnes.«
Er öffnet das Gitter.
Wir gehen durch den Park.
Hinter einer schwarzen Tanne erblicke ich das Haus. Fast ein Palast.
Ein Diener erwartet uns bereits, und der Pförtner übergibt mich dem Diener: »Der Herr möchte die gnädige Frau sprechen, er ist der Lehrer des jungen Herrn.« Der Diener verbeugt sich leicht.
»Das dürfte leider seine Schwierigkeiten haben«, meinter höflich, »denn gnädige Frau haben soeben Besuch.« »Ich muß sie aber dringend sprechen in einer sehr wichtigen Angelegenheit!«
»Könnten Sie sich nicht für morgen anmelden?«
»Nein. Es dreht sich um ihren Sohn.«
Er lächelt und macht eine winzige wegwerfende Geste. »Auch für ihren Sohn haben gnädige Frau häufig keine Zeit. Auch der junge Herr muß sich meist anmelden lassen.«
»Hören Sie«, sage ich und schaue ihn böse an, »melden Sie mich sofort oder Sie tragen die Verantwortung!«
Er starrt mich einen Augenblick entgeistert an, dann verbeugt er sich wieder leicht: »Gut, versuchen wir es mal. Darf ich bitten! Verzeihung, daß ich vorausgehe!«
Ich betrete das Haus.
Wir gehen durch einen herrlichen Raum und dann eine Treppe empor in den ersten Stock.
Eine Dame kommt die Treppen herab, der Diener grüßt, und sie lächelt ihn an.
Und auch mich.
Die kenne ich doch?
Wer ist denn das?
Wir steigen weiter empor.
»Das war die Filmschauspielerin X«, flüstert mir der Diener zu.
Ach ja, richtig!
Die hab ich erst unlängst gesehen. Als Fabrikarbeiterin, die den Fabrikdirektor heiratet.
Sie ist die Freundin des Oberplebejers.
Dichtung und Wahrheit!
»Sie ist eine göttliche Künstlerin«, stellt
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