Jugend ohne Gott (German Edition)
geschämt.
Heute ist man stolz auf sie.
Es ist eine Pest.
Wir sind alle verseucht, Freund und Feind. Unsere Seelen sind voller schwarzer Beulen, bald werden sie sterben. Dann leben wir weiter und sind doch tot.
Auch meine Seele ist schon schwach. Wenn ich in der Zeitung lese, daß einer von denen umgekommen ist, denke ich: »Zu wenig! Zu wenig!«
Habe ich nicht auch heute gedacht: »Geht alle drauf?« Nein, jetzt will ich nicht weiterdenken! Jetzt wasche ich meine Hände und gehe ins Café. Dort sitzt immer wer, mit dem man Schach spielen kann! Nur hinaus jetzt aus meinem Zimmer! Luft! –
Die Blumen, die ich von meiner Hausfrau zum Geburtstag bekam, sind verwelkt. Sie kommen auf den Mist. Morgen ist Sonntag.
In dem Café sitzt keiner, den ich kenne. Niemand.
Was tun?
Ich geh ins Kino.
In der Wochenschau seh ich die reichen Plebejer. Sie enthüllen ihre eigenen Denkmäler, machen die ersten Spatenstiche und nehmen die Paraden ihrer Leibgarden ab. Dann folgt ein Mäuslein, das die größten Katzen besiegt, und dann eine spannende Kriminalgeschichte, in der viel geschossen wird, damit das gute Prinzip triumphieren möge.
Als ich das Kino verlasse, ist es Nacht.
Aber ich gehe nicht nach Hause. Ich fürchte mich vor meinem Zimmer.
Drüben ist eine Bar, dort werd ich was trinken, wenn sie billig ist.
Sie ist nicht teuer.
Ich trete ein. Ein Fräulein will mir Gesellschaft leisten.
»So ganz allein?« fragt sie.
»Ja«, lächle ich, »leider –«
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Nein.«
Sie zieht sich gekränkt zurück. Ich wollt Ihnen nicht weh tun, Fräulein. Seien Sie mir nicht böse, aber ich bin allein.
Als ich den sechsten Schnaps getrunken hatte, dachte ich, man müßte eine Waffe erfinden, mit der man jede Waffe um ihren Effekt bringen könnte, gewissermaßen also: das Gegenteil einer Waffe – ach, wenn ich nur ein Erfinder wäre, was würde ich nicht alles erfinden! Wie glücklich war die Welt!
Aber ich bin kein Erfinder, und was würde die Welt nicht alles versäumen, wenn ich ihr Licht nicht erblickt hätte? Was würde die Sonne dazu sagen? Und wer würde denn dann in meinem Zimmer wohnen?
Frag nicht so dumm, du bist betrunken! Du bist eben da. Was willst du denn noch, wo du es gar nicht wissen kannst, ob es dein Zimmer überhaupt geben würde, wenn du nicht geboren worden wärst? Vielleicht wär dann dein Bett noch ein Baum! Na also! Schäm dich, alter Esel, fragst mit metaphysischen Allüren wie ein Schulbub von anno dazumal, der seine Aufklärung inpuncto Liebe noch nicht verdaut hat! Forsche nicht im Verborgenen, trink lieber deinen siebenten Schnaps! Ich trinke, ich trinke – Meine Damen und Herren, ich liebe den Frieden nicht! Ich wünsche uns allen den Tod! Aber keinen einfachen, sondern einen komplizierten man müßte die Folter wieder einführen, jawohl: die Folter! Man kann nicht genug Schuldgeständnisse erpressen, denn der Mensch ist schlecht!
Nach dem achten Schnaps nickte ich dem Pianisten freundlich zu, obwohl mir seine Musik bis zum sechsten Schnaps arg mißfiel. Ich bemerkte es gar nicht, daß ein Herr vor mir stand, der mich bereits zweimal angesprochen hatte. Erst beim drittenmal erblickte ich ihn.
Ich erkannte ihn sogleich.
Es war unser Julius Caesar.
Ursprünglich ein geachteter Kollege, ein Altphilologe vom Mädchenlyzeum, geriet er in eine böse Sache. Er ließ sich mit einer minderjährigen Schülerin ein und wurde eingesperrt. Man sah ihn lange nicht, dann hörte ich, er würde mit allerhand Schund hausieren, von Tür zu Tür. Er trug eine auffallend große Krawattennadel, einen Miniaturtotenkopf, in welchem eine winzige Glühbirne stak, die mit einer Batterie in seiner Tasche verbunden war. Drückte er auf einen Knopf, leuchteten die Augenhöhlen seines Totenkopfes rot auf. Das waren seine Scherze. Eine gestrandete Existenz.
Ich weiß nicht mehr, wieso es kam, daß er plötzlich neben mir saß und daß wir in eine hitzige Debatte verstrickt waren. Ja, ich war sehr betrunken und erinnere mich nur an einzelne Gesprächsfetzen –
Julius Caesar sagt: »Was Sie da herumreden, verehrter Kollega, ist lauter unausgegorenes Zeug! Höchste Zeit,daß Sie sich mal mit einem Menschen unterhalten, der nichts mehr zu erhoffen hat und der daher mit freiem Blick den Wandel der Generationen unbestechlich begreift! Also Sie, Kollega, und ich, das sind nach Adam Riese zwei Generationen, und die Lausbuben in Ihrer Klasse sind auch eine Generation, zusammen sind wir also
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