Julia Ärzte zum Verlieben Band 42
wie die Schleife an einem hübschen verpackten Geschenk! Es wäre ihm lächerlich vorgekommen, hätte er es doch vorgezogen, die Bänder einer kugelsicheren Weste straff zu ziehen, das Gewicht der Panzerung und der ausgebeulten Taschen zu spüren, in die er alles gestopft hatte, was er an der Front jederzeit schnell zur Hand haben musste.
Luke fühlte sich zu leicht, als er mit langen Schritten den OP-Trakt verließ, fast, als würde er schweben.
Haltlos.
Verloren.
Die Flure waren voller Menschen, die ihrer Arbeit nachgingen, aber es kam ihm unendlich langsam, beinahe wie in Zeitlupe vor. Keine drängende Eile, niemand hetzte von einem Punkt zum anderen, während er Betten und Rollstühle bewegte oder sich auf den Weg zu einer neuen Aufgabe machte. Die Leute hatten Zeit, stehen zu bleiben, kurz miteinander zu reden. Er sah manche lächeln, hörte sogar Gelächter. Jemand grüßte ihn, und Luke zwang sich zu einem Lächeln, aber es war anstrengend.
Er gehörte nicht mehr hierher. Das Ganze war ein Witz, aber einer, der überhaupt nicht lustig war. Wie das zivile Leben insgesamt, ein sinnloses Spiel, wo jeder sich etwas vormachte.
Draußen ging es ihm ein bisschen besser. Als Luke über das Krankenhausgelände marschierte, kam ein Rettungshubschrauber schnell näher. Er steuerte den Landeplatz an, zweifellos, um einen schwer verletzten Patienten zur Notaufnahme zu bringen.
Luke beobachtete die Maschine, horchte auf das Knattern der Rotoren. Allein das Geräusch sollte einen Flashback hervorrufen können, diese schlagartige Rückblende auf traumatische Erlebnisse.
Nichts passierte, und er wusste auch, warum. Luke kannte die Schlüsselreize und war gewappnet, er hatte alles unter Kontrolle. Trotzdem testete er sich selbst, behielt den Helikopter im Blick, bis er wieder abhob und in der Ferne verschwand.
Die Ferne, die etwas Verlockendes hatte. Es drängte Luke, weiterzugehen, immer weiter, über das Kopfsteinpflaster in den Straßen der malerischen Kleinstadt und weiter, bis er irgendwann einen Strand erreichte. Er hätte es gebraucht, sich in die Brandung zu stürzen, seine Kräfte mit der Natur zu messen. Nur dort gelang es ihm, Körper und Verstand zu betäuben und für eine Weile frei zu sein von allem, was ihn quälte. Die Wirkung war um ein Vielfaches besser als eine kalte Dusche.
Aber es war Dezember, das Meer eisig, und sein Neoprenanzug hing zum Trocknen auf der Veranda, nachdem Luke heute Morgen schon in aller Frühe schwimmen gewesen war. Außerdem schmerzte sein Bein vom stundenlangen Stehen im OP.
Und schließlich musste er arbeiten. Eigentlich sollte er froh sein, dass er diesen Job hatte. Er war sein Anker, etwas, worauf er bauen konnte – und das Einzige, was er hatte. Mit der Zeit würde er vielleicht wieder einen Sinn entdecken in dem, was er tat. Dass es wichtig und wertvoll war …
Angesichts dessen, was ihm während des Eingriffs unterlaufen war, schien er davon allerdings weiter entfernt zu sein als je zuvor. Wenigstens ging es dem Patienten, der das Pech gehabt hatte, ihm als Erster unters Messer zu kommen, gut!
Eine Stunde später betrat Luke die Intensivstation. Colin war wach, aber noch benommen.
Die Krankenschwester, die an seinem Bett stand, sah Luke mit einem strahlenden Lächeln entgegen. „Ich habe schon alles über die Operation gehört“, zwitscherte sie. „Ich wünschte, das hätte ich sehen können. Man sagt, Sie sind fantastisch gewesen.“
Fantastisch? Wohl kaum.
Colin schlug die Augen auf, sah den Chirurgen und lächelte matt. „Bin noch da“, krächzte er. „Danke, Doc.“
Luke erwiderte das Lächeln. „Vorerst müssen wir Sie hier behalten, aber wir versuchen, Sie so schnell wie möglich auf die Station zu verlegen. Haben Sie Fragen?“
„Ich bin ein bisschen von der Rolle, aber meine Frau hat schon mit Dr. Bartlett gesprochen. Die hat gesagt, dass die Operation wunderbar verlaufen ist. Dass Sie erstklassige Arbeit gemacht haben.“
Das überraschte ihn. Oder beschönigte Anna die Wahrheit nur, um einen Patienten zu beruhigen?
„Meine Frau ist nach unten gegangen, um meine Mutter abzulösen. Mum hat auf unsere Kinder aufgepasst. Ach, hatte ich mich bei Ihnen bedankt?“
„Hatten Sie.“
Ihm war bewusst, wie schroff sich das angehört hatte. Aus dem Augenwinkel bemerkte er den erstaunten Blick der Schwester.
„Wo ist Dr. Bartlett?“, fragte er sie, während er eine Ergänzung der Medikation auf der Patientenkarte eintrug. „Ich muss sie
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