Julia Bestseller Band 146
Fingerknöchel weiß hervortraten.
Keiner von ihnen sprach ein Wort. Leo hatte keine Ahnung, was er hätte sagen sollen. Außer Obszönitäten, die die Frau neben ihn wahrscheinlich hätte erbleichen lassen, fiel ihm absolut nichts ein.
Natasha hingegen hatte sich in sich selbst zurückgezogen und erlebte immer wieder die Geschehnisse in Ricos Büro. Sie wusste, dass ihre Schwester außer Kontrolle geraten war, aber dass Cindy so tief sinken würde …
Immer wieder sah sie Cindys Gesicht vor sich. Triumph hatte sich auf ihrer Miene gespiegelt, gefolgt von einem nur allzu bekannten, trotzigen Schmollen, das Natasha die Wahrheit enthüllt hatte, warum ihre Schwester sich an Rico herangemacht hatte.
Eigentlich wollte Cindy ihn gar nicht. Tatsächlich mochte sie ihn nicht besonders. Sie konnte nur den Gedanken nicht ertragen, dass Natasha irgendetwas bekam, das sie nicht zuvor selbst ausprobiert hatte.
Egoistisch bis ins Mark, dachte Natasha gequält. Verwöhnt von zwei Eltern, die unbedingt glauben wollten, dass ihre Tochter der talentierteste Mensch der Welt war. Sie war hübscher als Natasha, lustiger und lebendiger und selbstverständlich viel begabter, als Natasha jemals hoffen konnte zu sein.
Gesegnet, nannten ihre Eltern sie immer. Denn Cindy konnte auch noch singen wie ein Vogel und versprach die neuste Popsensation am englischen Musikhimmel zu werden. Nach ihrer Teilnahme an einem nationalen Gesangswettbewerb kannte jeder Cindys Gesicht. Natasha hingegen hielt sich nahezu unsichtbar im Hintergrund. Ihr Job war es, dafür zu sorgen, dass es in dem wundervollen Leben ihrer Schwester keine Probleme gab.
Warum habe ich das zugelassen? fragte sie sich nun. Warum war ich damit einverstanden, mein eigenes Leben auf Eis zu legen und den Babysitter für eine verzogene Göre zu spielen, die es immer gehasst hat, mit einer älteren Schwester alles teilen zu müssen?
Weil, so lautete die einfache Antwort, ihre Eltern zu alt waren, um Cindy in Zaum zu halten. Und irgendjemand musste sich darum kümmern, dass ihre Schwester nicht völlig aus der Bahn geriet.
Und, gib es ruhig zu, Natasha, anfangs warst du doch auch begeistert und stolz, ein Teil von Cindys aufregendem Leben zu sein.
Cindy hasste ihre Anwesenheit natürlich. Du hast dich nur an meinen Rockzipfel gehängt, sagte sie immer.
Wahrscheinlich stimmte das. Sie war zu einem pathetischen Anhängsel eines Popsternchens geworden, das auf herabfallende Krumen wartete, um ein bisschen am Ruhm ihrer Schwester teilzuhaben.
Rico kennenzulernen bedeutete für Natasha, ein echter Mensch mit eigenen Rechten und Gefühlen zu sein. Leider hatte sie geglaubt, er habe sich tatsächlich in sie verliebt.
Was für ein Witz, dachte sie jetzt. Alles war bloß ein schlechter Scherz.
Rico und Cindy …
Tränen brannten in ihren Augen.
Rico hatte mit ihrer Schwester getan, was er ihr immer verweigert hatte.
Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Kehle.
„Alles okay?“, fragte der Mann neben ihr.
Natürlich nicht! wollte Natasha ihn anschreien. Ich habe gerade gesehen, wie mein Verlobter Sex mit meiner Schwester hatte!
„Ja“, flüsterte sie stattdessen.
Leo warf ihr einen raschen Seitenblick zu. Sie hatte sich nicht gerührt, saß immer noch mit gesenktem Blick stocksteif da, die Hände über ihrer Tasche gefaltet.
Hatte Rico diese Frau jemals auf seinem Schreibtisch verführt, wie er es mit ihrer Schwester getan hatte?
Als hätte sie seine Gedanken gehört, hob sie in diesem Moment das Kinn und blickte durch die Windschutzscheibe nach vorne. Ihr Profil gleicht dem einer makellosen Madonna, schoss es Leo unwillkürlich durch den Kopf. Doch als er seinen Blick zu ihrem Mund wandern ließ, fiel ihm wieder ein, dass diese Lippen garantiert nicht zu einer keuschen Heiligen gehörten. Weich und sinnlich, die Oberlippe ein wenig schmaler als die untere. Wieder vermeinte er ein Flehen zu hören: Küss mich …
Abermals durchflutete ihn heißes Verlangen. Nichts als eine momentane Schwäche, redete er sich stur ein.
Doch das stimmte nicht. Denn seit er Natasha auf ihrer Verlobungsparty begegnet war, hatte er eine seltsame erotische Neugier verspürt.
Auch ihre Schwester war dort gewesen. In ihrem apricotfarbenen Kleid, natürlich speziell für sie entworfen, damit jeder ihre perfekte Figur bewundern konnte, war sie gleich der Mittelpunkt der Party geworden.
Natasha hingegen hatte klassisches Schwarz getragen. Damals hatte ihn ihre Wahl schockiert. War Schwarz nicht die
Weitere Kostenlose Bücher