Julia Bestseller Band 146
unverkennbare Gestalt in dem dunklen Anzug erkannte, die mit eiligen Schritten das Foyer durchquerte.
Ihr Herz tat einen merkwürdigen kleinen Sprung. Einen Moment dachte sie tatsächlich darüber nach, ihrem ersten Impuls nachzugeben, kehrtzumachen und wieder mit dem Aufzug nach unten zu fahren. Sie konnte später mit Rico sprechen, wenn sein Stiefbruder nicht mehr da war.
Sie mochte Leo Christakis nicht. In seiner Gegenwart fühlte sie sich stets unbehaglich und angespannt. Er besaß die Fähigkeit, auch noch ihre kleinste Schwäche aufzuspüren und diese mit sarkastischen Kommentaren zu belegen.
Glaubte er, ihr sei nie das spöttische Grinsen aufgefallen, das er immer dann aufzusetzen schien, sobald er seinen Blick ungehemmt über ihren Körper wandern lassen konnte? Glaubte er, es sei schön, vor Verlegenheit zu erstarren, weil er sich insgeheim über ihren Kleidungsstil lustig machte? Nur weil sie ihre Kurven lieber verhüllte, anstatt wie die anderen Frauen zu betonen, die seinen erlesenen Zirkel frequentierten?
Nicht, dass es eine Rolle spielt, was Leo Christakis über mich denkt, versicherte Natasha sich. Gleichzeitig weigerte sie sich zu akzeptieren, dass ihr Blick wie magisch von seinem Rücken angezogen wurde. Oder dass sie unbewusst die Hand gehoben und verführerisch mit einer blonden Haarsträhne spielte, die dem sorgfältig gesteckten Knoten entkommen war. Oder dass sie ihre kleine schwarze Handtasche vor ihr hellblaues Kostüm hielt, als sei sie ein Schild, mit dem sie ihn abwehren konnte.
Sie war nicht seinetwegen gekommen. Er war nur der arrogante und überhebliche Stiefbruder des Mannes, den sie in sechs Wochen heiraten sollte. Falls Rico jedoch keine sehr überzeugenden Antworten auf die Anschuldigungen geben konnte, mit denen sie ihn gleich zu konfrontieren gedachte, würde die Hochzeit nicht stattfinden!
Natasha spürte, wie alle Farbe aus ihren Wangen wich, während sie sich an den heutigen Morgen zurückerinnerte. Ein Unbekannter war so überaus freundlich gewesen, ihr ein Foto auf ihr Handy zu schicken. Warum nur empfanden Menschen Vergnügen dabei, einer Frau ein Bild von ihrem Verlobten zu senden, wie er gerade in den Armen einer anderen lag? Glaubten sie, nur weil sie in der Popmusikbranche arbeitete, würde sie keine Gefühle besitzen, die man verletzen konnte?
Die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, den Blick fest auf den grauen Teppichboden gerichtet, schritt Natasha den Korridor entlang, der zu Ricos Büro führte – wobei sie, ohne es zu wissen, Leo Christakis folgte.
Die Tür war geschlossen, doch Leo hielt sich nicht mit Anklopfen auf. Er stieß die Tür weit auf, machte einen Schritt nach vorne und erstarrte angesichts des Anblicks, der sich ihm bot.
Einige Sekunden dachte Leo tatsächlich darüber nach, ob er nicht vielleicht träumte. Es fiel ihm wirklich schwer zu glauben, dass Rico zu einer solchen Unverfrorenheit fähig war. Sein durchaus attraktiver Stiefbruder stand vor dem Schreibtisch, die Hose war bis zu den Knöcheln heruntergerutscht. Zwei schlanke Frauenbeine waren um seine Hüften geschlungen. Der Raum war erfüllt von eindeutigen Lauten.
Überall auf dem Boden lagen Kleidungsstücke verstreut.
„Was zum Teufel …?“, stieß Leo angewidert in genau dem Moment hervor, als er hinter sich einen erstickten Schrei wahrnahm. Er wirbelte herum.
Und blickte in das vor Entsetzen starre Gesicht von Ricos Verlobten.
„Natasha?“, fragte er verwirrt, hatte er doch angenommen, die hübschen Beine gehörten zu ihr.
Aber Natasha hörte ihn nicht. Sie war vollkommen damit beschäftigt, ihren schlimmsten Albtraum wahr werden zu sehen.
Allmählich bemerkten auch die beiden Verursacher des Chaos’, dass sie nicht mehr alleine waren. Wie aus weiter Ferne sah Natasha, wie Rico den Kopf hob und sich umwandte. Übelkeit stieg in ihr auf, als ihre Blicke sich trafen.
Dann bewegte sich die Frau. Ein blonder Kopf mit blauen Augen kam hinter Rico zum Vorschein. Die beiden Frauen starrten sich an.
„Wer zum …?“ Leo drehte sich wieder zu dem Liebespaar um.
Die Frau stütze sich mit einem Arm auf dem Schreibtisch ab und stieß mit der anderen Rico von sich. In diesem Moment erkannte Leo das wahre Ausmaß der Katastrophe.
Cindy, Natashas Schwester. Ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Er drehte sich wieder zu Natasha herum, doch die stand nicht mehr hinter ihm, sondern rannte, so schnell sie konnte, auf den Lift zu.
Wutentbrannt
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