Julia Collection Band 23
gestern in der Dunkelheit nur undeutlich wahrgenommen hatte, erstreckte sich jetzt unter einem strahlend blauen Himmel vor ihren Augen: die weite Bucht, die niedrige Düne mit McGillivrays Bungalow und vereinzelten Wohnhäusern und am anderen Ende ein Hotel mit ein paar Sonnenschirmen, unter denen Gäste saßen.
Wie im Paradies, dachte sie. Sonne und Meer und Sand. Am liebsten wäre sie geblieben. Aber das ging nicht. Noch nicht. Zuerst musste sie etwas zum Anziehen kaufen und einen Job finden. Zuerst musste sie an ihre Zukunft denken.
Mit McGillivrays Geld und seiner Nachricht bewaffnet, schlug sie den sandigen Weg durch das Gebüsch ein, der, so hoffte sie, in die Stadt führte.
Je weiter man sich vom Meer entfernte, umso weniger spürte man die Brise. Sydney fühlte, wie ihr der Schweiß über den Rücken lief, und sie war froh, als der Busch endete und sie offenes Gelände erreichte. Vor ihr lag ein Fußballplatz, daneben standen eine offene halbkreisförmige Hütte mit einem Wellblechdach und ein neues Holzhaus. Und ein wenig weiter entfernt erhob sich die seltsamste Skulptur, die Sydney je gesehen hatte. Sie war ungefähr drei Meter hoch und bestand ausschließlich aus Müll: Treibholz, Plastikstücke, leere Sonnenölflaschen – sogar ein altes Bierfass gehörte zu der Sammlung. Angelschnüre mit Fischködern und Glasstücken sowie ein altes T-Shirt hingen von zwei Stecken, die wohl Arme sein sollten. Eine Blechdose als Nase und eine riesige Sonnenbrille bildeten eine Art Gesicht, das von einem zerfledderten Strohhut beschattet wurde.
Verblüfft betrachtete Sydney das „Kunstwerk“, dann lachte sie. Es sah aus, als kämen die meisten Bestandteile von McGillivrays Veranda.
„Sie sehen ihn wohl zum ersten Mal“, sagte jemand hinter ihr.
Sydney drehte sich um und sah eine junge Frau aus der Hütte auf sie zukommen. Sie war etwa in ihrem Alter und wischte sich das Gesicht mit einem bunt bedruckten Halstuch.
„Allerdings. Sehr … äh … ungewöhnlich.“
„Das kann man wohl sagen. Wir nennen ihn Strandkönig, er ist das Werk meiner Schwägerin. Ein unvollendetes Werk – wie alle Männer“, fügte sie mit einem Grinsen hinzu.
Sydney lächelte viel sagend zurück. „Besser als die meisten, würde ich sagen.“
„Und ob!“ Die Frau stopfte das Halstuch in die Tasche ihrer Männershorts, die Sydneys zum Verwechseln ähnlich sahen. Darüber trug sie ein extragroßes T-Shirt, dessen ursprüngliches Orange zu einem gedämpften Goldgelb verblasst war, eine Farbe, die ausgezeichnet zu dem leuchtend roten Lockenschopf passte. Sydney nahm an, dass sowohl die Locken als auch die Farbe natürlich waren. Dutzende von Frauen würden ihre Seele dafür verkaufen, ging es ihr flüchtig durch den Kopf. Die junge Frau vor ihr hielt die Pracht mit einem ölverschmierten lila Stirnband in Schach.
„Sie müssen Hughs Freundin sein“, sagte sie jetzt.
Sydney blinzelte. „J…ja. Aber woher wissen Sie …“
„Von ihm.“ Sie streckte eine nicht ganz saubere Hand aus. „Ich bin Molly.“
„Molly?“
„Seine Schwester. Er kam heute früh in die Werkstatt und sagte, er habe Besuch. Ich soll Sie nicht stören, weil Sie Ruhe brauchen.“ Sie zwinkerte. „Ich frage mich, warum.“
Sydney wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Ich hatte gestern einen anstrengenden Tag“, sagte sie schließlich.
Molly lachte. „Wegen Hugh?“
„Nein.“ Sie konnte der Frau schlecht die Wahrheit sagen.
Anscheinend war sie auch nicht neugierig. Sie erwiderte nur: „So ein Geheimnistuer! Aber ich freue mich für ihn.“
„So? Weshalb?“
„Weil er darüber hinweg ist.“
Sydney hatte keine Ahnung, was sie damit meinte, aber auch das konnte sie ihr nicht gut sagen.
„Haben Sie ihm das blaue Auge verpasst?“, wollte Molly wissen.
Sydney wurde rot. „Es war ein Versehen.“
„Da bin ich sicher. Es geht mich auch nichts an. Werden Sie ihn heiraten?“
„Wie bitte?“
Molly lachte. „Takt ist nicht gerade meine Stärke, das wird Ihnen jeder hier bestätigen. Aber Hugh ist mein Bruder, und ich will, dass er glücklich wird.“ Sie zwinkerte. „Ich habe das Gefühl, dass Sie mit ihm umgehen können.“
„Das würde ich nicht gerade behaupten.“
„So kommt es mir aber vor. Sonst hätte er mir nicht gesagt, ich soll Sie in Ruhe lassen. Also, was ist?“
Offensichtlich ließ Molly sich nicht so leicht abspeisen.
„Wir … haben davon gesprochen“, erwiderte Sydney vage. Es stimmte, sie hatten von
Weitere Kostenlose Bücher