Julia Collection Band 25
schlimmsten Vierteln von Neapel aufgewachsen war. Es war hart und brutal gewesen, trotzdem respektierte Ricardo die Gefährten seiner Jugend eher als die meisten Menschen, mit denen er heute verkehrte.
Familiäre Bindungen und enge Freundschaften hatten niemals zu seinem Leben gehört, daher vermisste er auch beides nicht. Im Grunde gefiel es ihm sogar, dass er allein und vollkommen unabhängig von den Forderungen anderer war. Er lebte nur nach seinen eigenen Regeln; was andere von ihm dachten, war ihm nicht wichtig. Mit achtzehn Jahren hatte er beim Glücksspiel so viel Geld gewonnen, dass er sein erstes Containerschiff kaufen konnte.
Ricardo legte die Zeitung zur Seite und griff nach einem Ordner mit der Aufschrift „Potenzielle Käufe“. Als umtriebiger Geschäftsmann hielt er ständig Ausschau nach vielversprechenden Firmen, und die Event-Agentur Prêt a Party würde sehr gut in sein Imperium passen.
Vor Kurzem hatte ein Geschäftsfreund das Unternehmen erwähnt und ihm erzählt, er sei gut mit der Familie der jungen Besitzerin bekannt. Nach ersten Nachforschungen war Ricardo überrascht gewesen, dass ein Finanzgenie wie Marcus Canning das Potenzial der Firma nicht selbst bemerkt hatte.
Da Ricardo von Natur aus ein Jäger war, genoss er – wie alle Jäger – die Verfolgung fast ebenso sehr wie den unvermeidlichen „Abschuss“. Prêt a Party mochte nur eine kleine „Beute“ sein, dennoch plante er die Jagd sehr sorgfältig. Sich detaillierte Geschäftsberichte zu besorgen wäre der normale Weg bei einer Firmenübernahme, doch Ricardo hielt nicht viel davon. Erstens würde er damit andere Jäger auf sein Interesse aufmerksam machen, und zweitens zog er seine eigenen Methoden vor und verließ sich lieber auf seinen Instinkt.
Zunächst einmal wollte er so viel wie möglich darüber herausfinden, wie effizient und rentabel das Unternehmen war. Natürlich könnte die Besitzerin Lucy Blayne ihm diese Informationen am ehesten geben, aber es war unwahrscheinlich, dass sie ihm die nötigen Auskünfte für eine feindliche Übernahme ihrer Agentur liefern würde. Deshalb hatte Ricardo beschlossen, sich als potenzieller Kunde auszugeben. Als pedantischer und sehr wählerischer Kunde, der genau wissen wollte, wie alles funktionierte. Er würde darauf bestehen, mit eigenem Auge zuzusehen, wie bei Prêt a Party ein Event organisiert wurde.
Damit man ihm diesen exzentrischen Wunsch erfüllte, musste er natürlich einen sehr verlockenden Köder für Lucy Blayne auslegen.
Und genau das würde er tun.
„Carly! Dem Himmel sei Dank, dass du da bist! Hier herrscht das absolute Chaos!“
Als Carly das elegante Büro von Prêt a Party in der Sloane Street betrat, hatte sie das Gefühl, dass die Dinge wirklich schlimm stehen mussten. Denn ihre alte Schulfreundin und jetzige Arbeitgeberin, die gutherzige, freundliche Lucy Blayne, war so in Hektik, dass sie nicht einmal fragte, wie der Event vom letzten Abend gelaufen war.
Mindestens ebenso hektisch lief eine hübsche, aber reichlich verängstigt aussehende neue Kollegin herum und versuchte, mit dem Nonstopklingeln des Telefons fertig zu werden. Währenddessen versicherten zwei andere Angestellte, die nicht neu waren, ihren Kunden, dass die Vorbereitungen für ihren großen Event im Gang seien und problemlos liefen.
„Wir haben sooo erstaunlich viel zu tun. Die Werbeparty, die wir für das It-Girl der angesagten Schmuckdesigner organisiert haben, wurde in Vogue erwähnt. Und Nick hat enorm viele neue Kunden in die Agentur gebracht“, schwärmte Lucy.
Stumm hörte Carly ihr zu und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie Nick nicht mochte. Keinesfalls konnte sie ihrer Freundin erzählen, warum. Schwer verliebt in ihren Ehemann, wie Lucy es nun einmal war, würde es sie sehr verletzen, wenn sie erfuhr, dass er sich an Carly herangemacht hatte. Und das nur wenige Tage nachdem Lucy ihn ins Unternehmen eingeführt hatte.
„Oh!“ Die hübsche junge Frau sah geschockt aus und ließ vor Schreck fast den Telefonhörer fallen. „Es ist der Duke of Ryle“, verkündete sie atemlos. „Er möchte Sie sprechen.“
Lucy verdrehte lachend die Augen. „Verschwinde bitte nicht gleich wieder, ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen“, flüsterte sie Carly noch schnell zu, bevor sie fröhlich sagte: „Onkel Charles, das ist aber nett. Wie geht es Tante Jane?“
In ihrem eigenen kleinen Büro entdeckte Carly sofort den Zettel auf ihrem Schreibtisch. Während sie
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