Julia Collection Band 28
auch nicht gesehen. Offenbar war der kleine Racker wieder ausgerissen, doch es wäre für ihn zu gefährlich gewesen, die ganze Nacht im Freien zu bleiben.
Lissa griff zu Bademantel und Hausschuhen und wollte sich auf die Suche machen. Als sie auf die Veranda trat und über die Wiese zum Teich blickte, entdeckte sie Sullivan. Er saß auf der Terrasse des Gästehauses und hielt den Welpen auf dem Schoß.
„Suchen Sie vielleicht den kleinen Kerl hier?“, rief er zu ihr hinüber.
„Ja.“ Sie kontrollierte, ob sie den Gürtel des blauen Chenille-Mantels fest genug geschnürt hatte, und strich über die Aufschläge, um sicher zu sein, dass sie das Flanellnachthemd verdeckten. Erst dann überquerte sie den Rasen und die schmale Holzbrücke.
Sullivan beobachtete sie die ganze Zeit, und es machte sie befangen, dass er sie in diesem Aufzug sah. Andererseits war sie jetzt vermutlich mehr eingemummt als in der Tageskleidung.
„Leisten Sie mir eine Weile Gesellschaft?“, fragte er, als sie zu ihm kam.
Sie sollte sich zu ihm setzen und sich mit ihm unterhalten? Es wäre vernünftiger gewesen, Barney zu nehmen und ins Haus zurückzukehren. „Gut, aber nur für einige Minuten“, erwiderte sie.
Er blickte auf den Hund in seinem Schoß. „Der kleine Wildfang hat eine Ente gejagt, der es gar nicht gefallen hat, verbellt zu werden.“
„Barney muss noch eine Menge lernen“, meinte sie lachend.
„Aber mutig ist er. Anstatt mit eingezogenem Schwanz zum Haus zurückzulaufen, ist er zu mir gekommen.“
„Sie haben hier draußen gesessen?“
Er nickte. „Das mache ich gern am Ende eines Tages.“
Ihr ging es nicht anders. Sie liebte die stille Stunde zwischen Abend und Nacht auf der Terrasse im Garten, doch das erwähnte sie nicht. Es erschien ihr irgendwie anbiedernd, auf diese Gemeinsamkeit hinzuweisen.
„Meine Großtante Clara hat auch eine Veranda wie diese. Von dort aus sieht man den Bach, der über ihren Besitz fließt.“ Lächelnd warf er Lissa einen Blick zu. „Sie haben viel mit Clara gemeinsam.“
„Wieso das?“
Er schüttelte nur lachend den Kopf und antwortete nicht.
Instinktiv ahnte sie, dass sie sich nicht geschmeichelt fühlen sollte. Wahrscheinlich konnte sie nicht auf die Gemeinsamkeit mit seiner Großtante stolz sein. Trotzdem siegte die Neugierde. „Verraten Sie es mir, sonst nehme ich meinen Hund und gehe nach Hause!“
„Sie trägt genau wie Sie bequeme Schuhe“, erwiderte er amüsiert, „und zum Schlafengehen wickelt sie sich in Chenille und Flanell ein.“
Sie hatte sich nicht getäuscht. Er machte sich über sie lustig, doch es wirkte komischerweise nicht verletzend, eher freundlich, fast liebevoll. Darum war sie auch nicht beleidigt. Und was war schon dabei, wenn jemand Bequemlichkeit über Glamour und stilvolles Aussehen setzte?
„Was sollte ich denn Ihrer Meinung nach tragen?“, fragte sie. „Schuhe mit Bleistiftabsätzen und einen Seidenschal?“
„Haben Sie vielleicht so etwas in Ihrem Schlafzimmer versteckt?“, erkundigte er sich neugierig.
Sie klopfte ihm auf den Arm. „Nein, meine Schubladen sind voll Flanell und Chenille.“
„Wie schade“, meinte er lachend.
Das Gespräch hatte eine erotische Note angenommen, die Lissa vielleicht erregt hätte, wenn sie Satin getragen hätte. So aber lag der Chenille-Mantel ziemlich schwer auf ihren Schultern.
„Also, es ist Zeit“, stellte sie fest. „Ich gehe jetzt schlafen.“
„Hoffentlich sind Sie nicht böse auf mich. Großtante Clara ist ein tolles Mädchen, und sie hat mehr Feuer als ihre fünfundachtzig Jahre alte Schwester.“
„Wie alt ist denn Ihre Großtante?“, fragte Lissa.
„Siebenundneunzig, und sie mäht noch immer selbst den Rasen und arbeitet im Garten.“
„Beeindruckend. Dann gibt es ja Hoffnung für uns Flanell-und-Chenille-Frauen.“
„Großtante Clara hat übrigens auch einen Freund“, verriet er lächelnd.
„Was Sie nicht sagen.“ Vermutlich würde sie selbst auch schon neunzig sein, bevor ein Mann sie überhaupt zur Kenntnis nahm.
Sie warf einen Blick zum Haus. Ihre Eltern hatten im Schlafzimmer bereits das Licht gelöscht. Lissa wusste genau, dass ihre Mutter nun hinter dem Fenster stand und sie beobachtete.
Als sie sich wieder an Sullivan wandte, beobachtete er wiederum sie.
„Haben Sie einen Freund?“, fragte er unverwandt.
Die Frage traf sie unerwartet. Es störte sie nicht, dass er über ihre praktischen Schuhe Bescheid wusste oder über ihr Flanellnachthemd. Er
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