Julia Collection Band 57
Elena.
Man konnte gleich sehen, dass Eden hier gewohnt hatte. Die großen Räume waren sparsam, aber elegant eingerichtet. Vorsichtig öffnete er die Tür zum Schlafzimmer. Es war dunkel, denn die Jalousien waren geschlossen. Dennoch konnte er erkennen, dass das große Bett leer war. Er sah hoch. Ein Lichtschein wies ihm den Weg zu Maria.
Sie stand vor einer schmalen Tür, durch deren verglaste Hälfte das goldene Licht der untergehenden Sonne fiel. Ihr seidener grüner Morgenmantel leuchtete wie ein Smaragd. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte nachdenklich in den Hotelgarten.
„Findest du es nicht auch sehr merkwürdig, dass ich jetzt hier bin, Jericho? Ich meine, nach all den Jahren und all dem, was passiert ist.“
Jericho blieb wie angewurzelt stehen. Woher wusste sie, dass sie nicht mehr allein war? Und dass er es war, der wenige Meter hinter ihr stand? Erkannte sie ihn am Gang? Roch er vertraut? Oder lag es am sprichwörtlichen sechsten Sinn, den man Liebenden zuschrieb?„Meinst du in Belle Terre? Oder hier in Edens Hotel in der Fancy Row?“, fragte er leise, obgleich er genau wusste, was sie meinte.
„Fancy Row – Straße des Luxus. Das sagt alles, findest du nicht?“ Maria drehte sich zu ihm um. „Wegen all der Frauen, die dort lebten. Die Geliebten der reichen Pflanzer, die in Luxus gehalten und herausgeputzt wurden wie die Königinnen und dennoch von den Männern nicht anerkannt wurden, ebenso wenig wie die Kinder, die sie zur Welt brachten, auch wenn die Häuser, in denen sie lebten, zu den prächtigsten der Stadt gehörten.“
„Was du sagst, war in der Vergangenheit sicher zutreffend, ist es aber heute nicht mehr“, entgegnete er und beobachtete sie aufmerksam, als sie vor ihm auf und ab ging. Offensichtlich trug sie keinen BH. „Die Zeiten ändern sich, Maria Elena. Und auch die Menschen.“
„Wirklich?“ Sie strich sich mit beiden Händen das dichte Haar zurück. „Es gibt bestimmt einige Leute, die es für sehr passend halten, dass ich hier abgestiegen bin. Die Tochter einer Delacroix wohnt in der Straße, in der ihre Vorfahren ihr sündiges Gewerbe ausübten.“
„Aber man erzählt sich, dass die Frauen aus deiner Familie die hübschesten und elegantesten Frauen in dieser Gegend waren und dass die Männer sich um sie rissen. Und du tust so, als seien sie ganz gewöhnliche Huren gewesen, die es für ein paar Dollar mit jedem Mann auf der Straße trieben.“
„Nicht mit jedem Mann“, korrigierte Maria ihn verbittert, „sondern mit dem, der am meisten zahlte.“
„Und dem sie dann ihr Leben lang treu blieben.“
„Und dem sie uneheliche Kinder gebaren. Die auch wieder nur Delacroix hießen und nie den Namen des Vaters tragen durften.“
„Eine Geliebte auszuhalten und eine Geliebte zu sein war üblich in der damaligen Zeit, Liebste. Das hat doch nichts mit dir zu tun.“ Er sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen, aber er wusste, sie würde ihn zurückstoßen.
„Irrtum, Jericho. Das hat sehr viel mit mir zu tun. Ich bin eine Delacroix, ein lebendes Beispiel eines akzeptierten, aber unerfreulichen Brauchs. In Belle Terre wird nichts vergessen. Warum hätte ich sonst mein Kind verlieren müssen?“
„Aber das waren doch dumme Jungen, Maria Elena. Falsch erzogen und grausam, aber fast noch Kinder.“
„Und bigott“, stieß sie hervor. Sie schloss die Arme noch enger um sich, als wollte sie sich schützen, und drehte Jericho den Rücken zu. „Wie alle guten Bürger von Belle Terre.“
Jericho seufzte leise und strich sich über die Stirn. „Gehöre ich für dich auch zu diesen Leuten? Oder Eden? Wie ist es mit Adams und seinen Brüdern? Oder Lady Mary? Hast du ganz vergessen, wie nett sie zu dir war?“
Maria drehte ihm immer noch den Rücken zu, aber er sah, dass sie die Schultern herabhängen ließ und den Kopf leicht senkte.
„Gehören wir wirklich alle dazu? Sind wir alle arrogante Snobs, nur weil wir nicht von den schönen Delacroix abstammen? Hast du ganz vergessen, dass das Kind, das du verloren hast, auch mein kleines Mädchen war, und dass ich unter dem Verlust genauso leide wie du?“
„Ich … nein.“ Langsam schüttelte sie den Kopf und schwieg.
Jericho hörte, dass Maria mit den Tränen kämpfte. Er musste zu ihr gehen und sie in die Arme nehmen. Auch wenn sie ihn zurückstieß.
Als er die Arme um sie legte, drehte sie sich zu ihm um, schmiegte sich an ihn und hob ihm das Gesicht entgegen. Ihr Kuss war
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