Julia Collection Band 61 (German Edition)
gedacht, sie hatte ihm in jener Nacht sagen wollen, dass sie ihn liebte. Aber jetzt wusste er es besser.
Er musste sich beherrschen, um vor Frustration und Enttäuschung nicht laut aufzuschreien. „Wie konntest du das nur deinem Vater erzählen, bevor du mit mir gesprochen hattest?“
„Ich habe es doch schon einmal erklärt, Chase. Ich war jung und verängstigt. Ich hätte die High School verlassen müssen. Du warst gerade erst fertig geworden. Wie hätten wir leben und ein Baby ernähren sollen? Ich dachte, er würde uns helfen, würde dir einen guten Job in der Mühle anbieten und die Arztrechnungen bezahlen.“
Sie ließ den Kopf sinken. „Ich hätte es besser wissen müssen“, murmelte sie. „Er wollte nicht, dass ich es bekomme. Dieses Kind hatte seiner Meinung nach kein Recht, auf der Welt zu sein.“
Blind vor Wut, umfasste Chase ihre Schultern. „Das hast du nicht getan, oder?“, stieß er hervor.
Kate hob ruckartig den Kopf und funkelte ihn wütend an. „Wie kannst du mir nur so eine Frage stellen!“
Sie hatte recht. Chase ließ seine Hände sinken. Er wusste es besser. Er kannte sie besser.
„Wo ist dann das Kind? Mein Kind. Hast du es weggegeben?“
Kate stand auf und wandte ihm den Rücken zu, um sich zu sammeln. Als sie sich wieder umdrehte, wirkte sie verloren und abgespannt. Chase wollte ihr helfen, wollte sie festhalten, doch er konnte es nicht. Er konnte ja nicht einmal sich selbst helfen.
„Ich habe damals, nachdem du die Stadt verlassen hattest, tagelang geweint. Ich war so einsam und verängstigt. Dann setzte die morgendliche Übelkeit ein, und ich geriet in Panik“, erklärte sie leise. „Ich musste dich finden, um es dir zu sagen. Damit du uns helfen konntest. Ich borgte mir Geld von Robert Guidry und stieg in den nächsten Bus.“
„Guidry hat dir Geld geliehen?“
Kate nickte. „Fünfhundert Dollar. Ich habe fast acht Jahre gebraucht, um sie ihm zurückzuzahlen. Er war der Einzige, dem ich vertraute. Ich wusste, er würde keine Fragen stellen.“
Chase hatte das Gefühl, als würde in ihm etwas zerbrechen. Er wollte den Rest nicht hören, konnte es nicht ertragen, es zu hören, aber er war wie erstarrt.
„Ich habe überall nach dir gesucht“, fuhr Kate fort. „Fast drei Monate lang. Ich … ich war verzweifelt. So verzweifelt, dass ich zu essen vergaß, manchmal tagelang. Und wenn ich aß, dann selten etwas Ordentliches. Ich hatte ja auch nicht viel Geld.“ Sie schloss kurz die Augen.
„Nachts schlief ich zusammengekauert in Durchgängen oder Bahnhofshallen. Aber ich konnte dich nirgends finden.“
Nein. Er konnte es nicht ertragen. Das Bild von Kate, die verängstigt und völlig allein auf sich gestellt auf der Straße gelebt hatte, war zu schmerzlich, unerträglich. Chase stand auf und trat ans Fenster.
„Was geschah mit dem Baby, Kate?“ Er musste sie dazu bewegen, die Geschichte zu Ende zu erzählen, damit er wieder atmen konnte.
„Ach Chase. Es tut mir so leid. Unser Baby … unser kleines Mädchen … es starb. Es war mein Fehler. Ich hätte besser aufpassen müssen. Man versuchte sie im Krankenhaus in New Orleans noch zu retten, aber sie war zu früh gekommen.“ Kate bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schluchzte. „Es war mein Fehler. Alles war mein Fehler.“
Es kam Chase vor, als fände in seinem Kopf eine Explosion statt, als löse sich ein dicker Knoten. Plötzlich erkannte er die Wahrheit. Er zitterte am ganzen Körper und hatte das Gefühl, fast blind zu sein. „Oh nein!“, stöhnte er auf. Seine Brust war wie zugeschnürt. Er wollte das, was Kate gesagt hatte, nicht akzeptieren, aber er wusste, dass sie niemals lügen würde.
Bitte, erlöse mich von der Qual, flehte er im Stillen. Nein, dachte er dann, lass es noch mehr schmerzen. Lass es so schlimm werden, dass ich alles andere vergesse.
Plötzlich konnte er es nicht mehr aushalten, fuhr herum und rammte seine Faust durch das geschlossene Fenster. Glas splitterte nach allen Seiten. Er war so ein Mistkerl gewesen. Ein arroganter, selbstgefälliger Idiot, der in der Hölle schmoren sollte.
„Chase! Was …?“ Kate kam zu ihm und griff nach seiner blutenden Hand. „Du hast dich geschnitten. Lass mich dir helfen.“
Chase sank vor ihr auf die Knie, umschlang ihre Hüften und schmiegte sich an sie. „Es tut mir so leid, Kate“, flüsterte er unter Tränen. „Ich habe dich allein zurückgelassen.“ Er stöhnte qualvoll auf. „Ich bin einfach gegangen. Ich war so verletzt,
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