Julia Collection Band 61 (German Edition)

die ihm das Ei gegeben hatte, stand wartend unter der Weide.
    „Sagen Sie mir, warum Sie hier sind“, forderte er sie auf. Das war alles so unheimlich. Er hoffte, dass Kate die Alte nie zu Gesicht bekommen würde.
    „Willst du noch eine Geschichte hören, Severin? Ich bin hier, um sie dir zu erzählen.“
    Chase verschränkte die Arme vor der Brust. „Schießen Sie los. Aber ich glaube nicht an Verwünschungen und Flüche.“
    „Doch du glaubst jetzt an die Magie, das weiß ich.“
    Chase hatte sich längst eingestehen müssen, dass das Ei tatsächlich über magische Kräfte verfügte, aber er würde einen Teufel tun und das zugeben. „Erzählen Sie einfach Ihre Geschichte. Was hat meine Großmutter getan, um solch ein Vermächtnis zu verdienen?“
    „Vor langer Zeit begegnete man uns fahrendem Volk mit Misstrauen und Missachtung, so wie heute wohl noch immer“, begann sie. „Als ich eine junge Frau war und mein erstes Kind erwartete, gab es plötzlich Komplikationen. Damals waren die magischen Kräfte meines Vaters noch recht bescheiden. Er entschied, dass mein Kind und ich einen Arzt brauchten, da anscheinend nichts anderes half.“ Sie seufzte. „Aber kein Arzt wollte mich behandeln. Mein ungeborenes Kind und ich waren kurz davor, diese Welt zu verlassen, als Lucille, die damals selbst noch ein junges Mädchen war, mich fand, mich heimlich in das Haus ihres Vaters brachte und ihren Arzt bat, sich um mich zu kümmern.“
    Chase war fasziniert. Aber die Geschichte erinnerte ihn so sehr an seine und Kates Geschichte und an ihr verlorenes Baby, dass er eine Gänsehaut bekam.
    „Ohne Lucilles Güte und Freundlichkeit hätten mein Kind und ich nicht überlebt. Viele Jahre suchte mein Vater nach einem Weg, diese Schuld zu begleichen. Doch Lucille benötigte nichts, was wir ihr geben konnten. Also entwickelte mein Vater seine magischen Kräfte weiter.“
    „Moment“, unterbrach Chase sie. „Wie macht man das?“
    „Das ist nur für uns fahrendes Volk bestimmt. Frag nicht.“
    Sie fuhr fort: „Das Einzige, was Lucille wollte, war eine Versöhnung mit ihrer Tochter, aber das überstieg die Fähigkeiten meines Vaters. Ihre Tochter, deine Mutter, war schon vor Jahren gestorben.“
    In den Augen der Roma lag der Glanz vieler ungeweinter Tränen. „Mein Vater lag im Sterben, als er hörte, dass auch Lucilles Ende nahte. Also verfasste er sein Vermächtnis und ließ mich schwören, dass ich es erfüllen würde. Weil ich selbst in Lucilles Schuld stand, wollte ich seine Bitte gern befolgen. Die Erben von Lucille sollten jeder ein magisches Geschenk erhalten. Geschenke, die ihnen die Liebe bringen konnten. Etwas, das sie nicht hatten, sich aber über alles wünschten.“
    Sie nickte. „Und so ist es geschehen.“
    Es war eine merkwürdige Geschichte, doch Chase glaubte jedes Wort. Er hatte den Zauber mit eigenen Augen gesehen.
    „Ich habe nicht nach Ihnen gesucht, um Ihre Geschichte zu hören, aber ich bin froh, dass Sie sie mir erzählt haben.“
    Passionata neigte fragend den Kopf.
    Chase lächelte sie an. Sein Leben war so voller Liebe und Glück, dass er das Gefühl hatte, er würde nie wieder aufhören können zu lächeln.
    „Ich kam hierher, um mich zu bedanken“, sagte er schmunzelnd. „Sie haben mein Leben gerettet mit Ihrem Zauber, und so können Sie Ihre Aufgabe als vollkommen erfüllt ansehen.“
    Mit diesen Worten ging er davon, denn er konnte es nicht erwarten, zu seiner Braut zurückzukehren. Er würde seiner Großmutter, die er nie kennengelernthatte, immer dankbar sein.
    Endlich war das Leben gut. Und solange er die Liebe in seinem Herzen bewahrte, würde es immer magisch bleiben.
    – ENDE –

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