Julia Extra 0357
Versöhnungsversuch seinerseits hätte zweifellos einem höheren Ziel gedient.
„Danke“, sagte sie deshalb steif und rang sich den anderen zuliebe ein Lächeln ab. Wajid wäre stolz auf mich, ging es ihr durch den Kopf. Statt mit der Vase nach ihrem königlichen Ehemann zu werfen, hatte sie sich vorbildlich beherrscht. Hätte Raja sein Verhalten wirklich bereut, hätte er sich dann nicht persönlich bei ihr entschuldigt?
Ruby ist eine schlechte Schauspielerin, überlegte Raja und fragte sich dann, ob sie die Vase mit den Rosen bewusst weggeschoben hatte, als sie die Akte auf den Tisch legte. Im nächsten Moment fluchte er im Stillen, weil er sich überhaupt Gedanken über etwas derart Banales machte. Er verließ das Esszimmer, um seinen Juwelier anzurufen und diesem mitzuteilen, was ihm vorschwebte – ein hochkarätiger Diamant. Obwohl ihn nichts so leicht aus der Fassung brachte, hatte ihr Schweigen beim Frühstück ihn verlegen gemacht. Die Angestellten sollten von ihren Differenzen nichts mitbekommen, weil es zu Klatsch und Tratsch führen und die Öffentlichkeit bald erfahren würde, dass sie Eheprobleme hatten.
Wajid begleitete Ruby bei ihrem Besuch im Waisenhaus und teilte ihr mit, dass Raja ihn darum gebeten hatte, nachdem er erfahren hatte, dass er anderweitige Verpflichtungen hatte.
„Ihr Wohlergehen liegt Seiner Hoheit sehr am Herzen“, fügte Wajid wohlwollend hinzu. „Er möchte Ihnen jedwede Unterstützung zukommen lassen, wenn er nicht bei Ihnen sein kann.“
In ihren Augen war das paradox, weil Raja sie mehr verletzen konnte als jeder andere. Dass er so besorgt um mich ist, hat gar nichts zu bedeuten, sagte sie sich unglücklich. Er gehörte schlichtweg zu den Männern, die Frauen für hilflos hielten, und glaubten, sich deshalb um sie kümmern zu müssen. Dass sie ihn während ihres unfreiwilligen Aufenthalts in der Wüste in dieser Meinung bestätigt hatte, nagte immer noch an ihr. Aber warum war sie so unglücklich? Warum hatte er ihr so wehgetan wie kein Mann zuvor, seit ihr Stiefvater aus ihrem Leben verschwunden war?
Für mich war es mehr als Sex, gestand Ruby sich widerstrebend ein. Raja war stark, klug und einfallsreich, und das bewunderte sie an ihm. Hinzu kamen sein Aussehen, sein Sexappeal und sein Charme, und ihr Widerstand schmolz sofort dahin. Natürlich war sie noch nie einem Mann wie ihn begegnet. Er kam aus einer anderen Welt, aber er war auch durch seine Erziehung und Bildung und vor allem durch seine Herkunft geprägt. Vor etwas mehr als zwanzig Jahren hatte ihre Mutter Vanessa den Fehler begangen, sich in genauso einen Mann zu verlieben. Und sie wollte diesen Fehler nicht machen.
Ruby schreckte aus ihren Gedanken, als die Limousine vor dem Waisenhaus hielt, mehreren ziemlich modernen Gebäuden, die man im Krieg verschont hatte. Als das ältere Ehepaar, das sie bereits von dem Empfang am Vorabend kannte, auf der Treppe erschien, um sie willkommen zu heißen, vergaß sie all ihre Probleme. Schon immer hatte sie Kinder geliebt. Während ihres Besuchs war sie entsetzt über den schrecklichen Verlust, den diese Kinder erlitten hatten, und gleichzeitig gerührt über deren Tapferkeit. In der Einrichtung wurden dringend mehr ausgebildete Mitarbeiter sowie Möbel und Spielzeug benötigt, aber die meisten Bewohner konnten immer noch lachen und spielen.
Ein kleines Mädchen, Leyla, fasste sofort Zutrauen zu ihr und schob seine kleine Hand in ihre. Es war ungefähr drei Jahre alt, hatte große dunkle Augen und schwarze Locken und lutschte noch am Daumen.
Sichtlich überrascht über das Verhalten der Kleinen, berichtete die Leiterin der Einrichtung, dass Leyla den Mitarbeitern gegenüber reserviert war. Sie hatte ihre Mutter und ihren Vater im Krieg verloren. Leider war es in Ashur nicht üblich, Kinder zu adoptieren, da die meisten Familien sich gerade mal so über Wasser halten konnten. Mit Leyla im Schlepptau verbrachte Ruby den größten Teil der Zeit mit den kleineren Kindern und hörte zu, während jemand eine Geschichte erzählte. Als es Zeit war aufzubrechen, klammerte Leyla sich an sie und war untröstlich, als man sie von ihr trennte. Auch ihr fiel der Abschied schwer, wie Ruby erstaunt feststellte. Und plötzlich erschienen ihre eigenen Probleme ihr geradezu lächerlich.
Ohne auf Wajids missbilligende Miene zu achten, versprach sie, am Abend wiederzukommen. Ihr nächster Besuch in einer behelfsmäßigen Schule, die aus mehreren Zelten bestand, war viel erfrischender
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