Julia Extra 260
an den geweißten Wänden.
Die farbenfrohen Wandbehänge bildeten einen perfekten Kontrast zum schneeweißen Hochzeitskleid, das jedem Pariser Modeschöpfer Ehre gemacht hätte. Viele Lagen Seidenchiffon bauschten sich bei jeder Bewegung. Wenn Miranda ganz still stand, umschmeichelte der Stoff sie wie eine zweite Haut. Die Schneiderin hatte ein Traumkleid geschaffen – schlicht, sexy und elegant zugleich.
Agalia zupfte hier und da noch an dem Kleid, dann sah sie lächelnd auf. „So, fertig. Nun kann es losgehen.“
„Danke“, antwortete Miranda mit bebender Stimme.
„Warum weinst du, Miranda? Heute soll doch der schönste Tag in deinem Leben werden.“
Ja, wenn sie nur nicht so unerfahren gewesen wäre. Wie sollte sie einem derart leidenschaftlichen Mann wie Theo in ihrer Hochzeitsnacht begegnen? Immer wieder musste sie an das Desaster ihres ersten Mals denken, und ihre Nervosität wuchs zunehmend. Außerdem wusste sie nicht, was Theos ständige Stimmungsumschwünge zu bedeuten hatten. Erst war er umsichtig und zärtlich, im nächsten Moment wirkte er düster und ungeduldig. Ob er die Hochzeit im letzten Augenblick doch noch absagen wollte?
Agalia klatschte in die Hände, um Mirandas Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Wie dumm von mir! Das sind sicher Freudentränen.“
„Stimmt genau, Agalia.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Hörst du die Musik?“
Agalia lief zum Fenster und winkte den Menschen aufgeregt zu. „Sie sind da.“
Nun blickte auch Miranda vorsichtig hinaus. Aus dem intimen Hochzeitszeremoniell wurde wohl nichts. Das ganze Dorf schien auf den Beinen zu sein. Die Vorstellung, diesen Tag mit den Menschen zu teilen, die sie auf ihrer Insel so herzlich willkommen geheißen hatten, hob Mirandas Stimmung beträchtlich.
Zwei ältere Musikanten führten die Prozession an. Der eine spielte Geige, der andere ein historisches Aoud-Zupfinstrument. Verwundert musste Miranda feststellen, dass die Menschen an der Taverne vorbeizogen. „Gehen die etwa ohne mich?“
„Keine Angst, sie wollen nur zuerst Theo von der Yacht abholen, danach bist du an der Reihe.“
„Wie lange wird das dauern?“
Agalia lachte. „Du hast wohl Angst vor Theos Ankunft.“
Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, doch das konnte Miranda natürlich nicht zugeben. Ergeben neigte sie den Kopf, damit die Griechin einen duftenden Blumenkranz in ihrem Haar befestigen konnte. „Das ist es nicht“, behauptete Miranda.
„Sondern?“
„Ich mache mir Sorgen, weil wir uns doch gerade erst kennengelernt haben.“
„Nun hör mir mal zu, mein Kind. Theo ist ein guter Mensch. Ich kenne ihn schon seit seiner Geburt. Du bist die richtige Frau für ihn. Denkst du, er hätte sich die Entscheidung leicht gemacht? Oder er hätte die Hochzeit ohne guten Grund vorverlegt? Und den können wir uns doch beide denken, oder?“ Vielsagend zwinkerte sie Miranda zu, bevor sie ernst hinzufügte: „Theo hat die Reederei seiner Familie vor dem Ruin gerettet und zu einem der weltweit führenden Unternehmen gemacht. Meinst du, das war Zufall? Nein, Theo überlässt nichts dem Zufall. Und dich heiratet er aus einem einzigen Grund: Er liebt dich, Miranda.“
„Hoffentlich hast du recht.“
„Selbstverständlich! Ich vertrete heute deine Mutter. Sie würde dir auch sagen, dass jede Braut an ihrem Hochzeitstag nervös ist. Aber du hast gar keinen Grund dazu, denn du heiratest einenwundervollen Mann, der dich für den Rest deines Lebens auf Händen tragen wird.“
Miranda wandte sich schnell ab, um ihre zweifelnde Miene vor Agalia zu verbergen. „Soll ich jetzt den Schleier anlegen?“
„Ja, und die Sandaletten anziehen.“
Miranda betrachtete ihr Spiegelbild. Agalia hatte ihr Haar mit Seide poliert, es schimmerte wie Ebenholz und reichte ihr fast bis zur Taille. In dem weißen Kleid, mit dem Schleier und dem Blumenkranz im Haar wirkte sie sehr jung und unschuldig – wie ein Opferlamm.
„Nun komm, Miranda, wir müssen uns beeilen. Die Prozession ist auf dem Weg zu uns“, rief Agalia aufgeregt und riss sie aus der Trance.
Miranda nahm sich zusammen und umarmte Agalia. „Ganz herzlichen Dank für alles, was du für mich getan hast. Dank dir werde ich eine wunderschöne Hochzeit erleben.“
„Die sind für dich, Miranda.“
Sie bebte am ganzen Körper und musste tief durchatmen, bevor es ihr gelang, Theo mit einem Lächeln zu begegnen.
„Nimm die Blumen“, sagte er eindringlich.
Alle warteten gespannt, dass sie es
Weitere Kostenlose Bücher