Julia Extra Band 0213
kritisch.
“Klar. Man überlegt sich, was man vom Leben erwartet, kann noch die Laufrichtung ändern, lässt aber definitiv die Jugend hinter sich und muss sich mit seiner Sterblichkeit auseinandersetzen.”
Er warf ihr einen geringschätzigen Blick zu. “Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie morgen dreißig werden.”
Claudia zuckte bei dem unerwarteten Kompliment zusammen. “Schönen Dank.”
“Es ist unbegreiflich, wie man solchen Unsinn reden kann, wenn man älter als fünf ist”, fügte David gnadenlos hinzu.
Claudia sah ihn wütend an. “Sie selbst hatten wohl mit dreißig keine Krise. Oder können Sie nicht so weit zurückdenken?”, stichelte sie.
“Ich hatte zu viel zu tun, um mir eine Krise leisten zu können.”
“Warten Sie einfach, bis Sie fünfzig sind. Dann werden auch Sie aufwachen, aber es wird zu spät sein, um noch etwas an Ihrem mit Arbeit vergeudeten Leben zu ändern. Da werden Sie Ihre Krise erleben.”
“Möglich”, meinte David unwirsch. “Darüber muss ich mir momentan aber nicht den Kopf zerbrechen. Ich bin zufällig noch nicht einmal vierzig. Ich habe noch einen ganzen Monat Zeit.”
“Ach?”, meinte Claudia so überrascht, dass es verletzend klang. “Wann haben Sie denn Geburtstag?”
Er seufzte. “Am siebzehnten September.” Er ahnte, was als Nächstes kommen würde.
“Also sind Sie eine Jungfrau.” Claudia nickte weise, obwohl sie nicht genau wusste, ob es stimmte. “Das passt.”
David antwortete darauf nicht. Sie war die furchtbarste Frau, die er je getroffen hatte. “Sicher”, sagte er beiläufig. “Jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss wirklich weiterarbeiten.”
“Aber natürlich”, entgegnete Claudia. “Ich werde ganz still meine Illustrierte lesen. Sie werden gar nicht bemerken, dass ich da bin.”
David hielt das für unwahrscheinlich. Auch im Dunkeln und wenn sie still war, hätte sie ihn noch abgelenkt.
Er beugte sich über seinen Bericht und schrieb eilig ein paar Notizen an den Rand. Claudia versuchte vergeblich, ihn zu ignorieren.
Er sah nicht wirklich gut aus. Der Zug um seinen Mund und das entschiedene Kinn wirkten zu hart, sein intelligentes Gesicht zu schmal. Seine bewusste Zurückhaltung konnte sie nicht als langweilig abtun. Er besaß eine starke Persönlichkeit, die sich in ruhiger Selbstsicherheit, einem scharfen Blick und unantastbarer Autorität äußerte. Aus den Augenwinkeln sah sie an seinem Hals seinen langsamen und regelmäßigen Pulsschlag.
Ihr Herz dagegen schlug heftig und unregelmäßig. Vielleicht war sie nervlich überspannt.
Von David Stirling konnte man das nicht behaupten. Claudia musterte seinen Mund. Wie konnte man so einen Mann wohl aus der Ruhe bringen?
Über ihren Gedankengang erschrocken, blätterte sie schnell in ihrer Zeitschrift weiter. Ein Artikel über Sex kam ihr unpassend vor. Sie schlug die Seiten um, bis sie zu einem Artikel über die Freuden und Leiden verschiedener Altersstufen kam. Da die Freuden der Jugend bald hinter ihr lagen, begann sie gleich bei den Dreißigjährigen.
Dreißigjährige Frauen haben die Unsicherheiten der letzten Dekade hinter sich gelassen. Sie sind mit sich selbst im Gleichgewicht, besitzen Selbstvertrauen und fühlen sich wohl in ihrer Haut.
Claudia konnte diese Behauptungen nicht nachvollziehen.
Sie wissen, was ihnen steht und was nicht. Sie sind erwachsen und gebildet genug, um ihr Leben nach selbst aufgestellten Regeln zu führen. “Ich liebe dreißigjährige Frauen”, meint ein Mann. “Sie sind wesentlich interessanter als junge Mädchen, weil sie ihre eigene Meinung haben und wissen, was sie wollen. Sie haben genügend Selbstvertrauen, um sich zu nehmen, was sie brauchen. Es ist meiner Meinung nach das sexieste Alter. Viele Frauen haben erst mit dreißig ihr bestes Aussehen erreicht. Sie kennen ihren Körper. Das gibt ihnen eine Klasse und Sicherheit, mit der keine Zwanzigjährige mithalten kann.
Claudia seufzte ungläubig. Sie hatte noch keine Frau getroffen, die mit ihrem Körper zufrieden war. Aber Selbstsicherheit und Klasse hörte sich gut an.
Claudia wäre gern bereits mit gewaschenen Haaren und einem großen, gut gekühlten Gin Tonic in Telema’an gewesen, mehr wollte sie im Moment nicht. Das waren allerdings kaum die passenden Wünsche für eine neue Lebensphase.
Als Claudia die Illustrierte beiseitelegte, las David immer noch in seinem Bericht. Sie wagte es nicht, ihn erneut zu stören. Sie wurde erst morgen
Weitere Kostenlose Bücher