JULIA EXTRA BAND 0272
Tally einwenden, doch zu spät. Die Haushälterin war bereits verschwunden.
Dante war arrogant und anmaßend. Tally konnte es kaum erwarten, ihm das an den Kopf zu werfen, aber wann mochte er kommen? Und wann ging der letzte Zug nach Shelby? Um acht? Oder um neun? Auf jeden Fall durfte sie ihn nicht verpassen, denn ein Hotelzimmer konnte sie sich nicht mehr leisten, nachdem sich dieser gesamte Ausflug als Fehlinvestition entpuppt hatte.
Tally kramte ihr Handy heraus und versuchte, Sheryl anzurufen, um sich nach Sam zu erkundigen, außerdem wollte sie berichten, dass sich ihre ach so wundervollen Zukunftspläne in Luft aufgelöst hatten, aber die Verbindung kam nicht zustande. Musste sie ausgerechnet jetzt daran erinnert werden, dass der Mobilfunkservice in Shelby gelegentlich zu wünschen übrig ließ?
Zwanzig Minuten verstrichen. Dreißig. Tally runzelte die Stirn und lief unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Dann schaute sie wieder auf die Uhr. Verdammt, für so etwas hatte sie keine Zeit! Sie nahm sich vor, noch eine halbe Stunde zu warten, danach musste sie auf das Vergnügen verzichten, Mr. Russos aufgeblasenem Ego einen Dämpfer zu verpassen.
Schließlich war es viel wichtiger, den Zug zu erreichen und zu Sam in die reale Welt zurückzukehren. Warum verschwendete sie überhaupt noch ihre Zeit damit, auf Dante zu warten, statt ihr Gepäck zu holen und sich gleich auf den Weg zu machen?
Entschlossen ging Tally nach nebenan in ein großes Schlafzimmer und öffnete dort eine Tür, hinter der sie einen begehbaren Kleiderschrank vermutete …
Was sie sah, nahm ihr den Atem, denn der Raum dahinter war … ein Kinderzimmer, von dem ein kleines Mädchen nur träumen konnte. Ein Zimmer für Samantha.
Die cremefarbenen Wände waren mit bunten Märchenbildern geschmückt, da sah man Prinzen und Prinzessinnen, den Froschkönig, ein Einhorn, Schneewittchen und die sieben Zwerge. Auf dem Boden lag ein weicher rosafarbener Plüschteppich, das Kinderbett und die übrigen Möbel waren ebenfalls cremefarben und hatten hübsche goldene Verzierungen. In der Nähe des Fensters stand ein Schaukelstuhl, auf dem eine bunte Patchworkdecke lag, und in einer Ecke ragten die Türme einer Spielzeugburg, die von einer Teddybärenfamiliebewacht wurde, empor.
Es war ein Zimmer für eine kleine Prinzessin.
Einen Herzschlag lang war Tally etwas milder gestimmt, denn sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie sich ihre Tochter hier fühlen würde. Doch gleich darauf wurde ihr bewusst, wofür das Zimmer stand. Hielt Dante sie wirklich für korrupt?
Zutiefst empört machte sie auf dem Absatz kehrt. Zum Teufel mit ihrem Koffer! Sie hatte nichts dabei, was sie nicht entbehren konnte. Und zum Teufel mit Dante! Jetzt gab es für sie nur noch eins: Sie wollte endlich wieder nach Hause.
Eilig verließ sie die Suite, lief schnell die Treppe hinunter auf den Aufzug zu. In dem Moment, in dem sie dort angelangt war, öffneten sich die Türen des Lifts, und vor ihr stand Dante. Dante … mit Samantha auf dem Arm.
Tally spürte, wie ihr Kopf plötzlich ganz leer wurde. Sie hatte sich den Verlauf des heutigen Tages immer wieder ausgemalt, aber darauf, dass so etwas passieren würde, wäre sie nicht einmal im Traum gekommen. Niemals.
Sam war so blond. Dante so dunkel. Und doch waren sich die beiden geradezu unheimlich ähnlich. Sie hatten das gleiche leicht lockige Haar, die gleichen großen Augen, den energischen Mund und das gleiche Lächeln.
Dante und Samantha. Vater und Tochter.
Der Boden unter Tallys Füßen schien plötzlich nachzugeben. Halt suchend streckte sie die Hand aus. Dabei musste sie irgendeinen Laut von sich gegeben haben, weil Dante plötzlich den Kopf wandte.
Als er sie bemerkte, verschwand sein Lächeln. „Cara?“
Mir geht es gut, sagte sie … nein, wollte sie sagen. Aber ihr versagte die Stimme.
Dante brüllte einen Befehl, woraufhin die Haushälterin herbeigeeilt kam und ihm Sam abnahm. Und dann lag Tally auch schon in seinen Armen, diesen starken Armen, und spürte, dass er sie durch die Wohnung trug.
„Cara“ , flüsterte er und dann: „Tally …“
So hatte er sie noch nie genannt. Sie dachte noch, wie sanft es aus seinem Mund klang, während sich die Welt immer schneller um sie zu drehen schien. Und dann fiel sie in ein schwarzes Loch.
Als Tally die Augen aufschlug, lag sie in einem riesigen Bett mit Baldachin in einem nur schwach erhellten Raum.
Wo war sie? Was war geschehen? Sicher etwas Schreckliches.
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