JULIA EXTRA Band 0276
Max grübelte darüber nach, während er in der löwenfüßigen Wanne unter einem riesigen, altertümlichen Duschkopf stand. Alles um ihn herum zeugte von Schlichtheit, um nicht Armut zu sagen. Sicher waren Luc und die Mädchen von ihren Eltern gut versorgt zurückgelassen worden … oder?
Alice, Gianettas Mutter, hatte alle Verbindungen zur Familie in Europa gekappt, und das bereits, als sie noch sehr jung war. Sie hat eine gute Partie gemacht, hieß es. Irgendeinen reichen Australier. Aber das hatte sein Vater behauptet, und was von dessen Aussagen zu halten war, wusste Max inzwischen nur zu genau.
Bisher hatte Max nie das Bedürfnis verspürt, die Wahrheit über seine entfernte Cousine herauszufinden, doch wenn die Großmutter dieser Kinder, mütterlicherseits gesehen, jemals jemanden mit Geld geheiratet hatte, war davon hier jedenfalls nichts zu sehen.
Fragen über Fragen, auf die er keine Antworten wusste. Max blieb so lange unter der Dusche stehen, bis er aufgewärmt war, dann trocknete er sich ab, zog eine leichte Baumwollhose an und dazu den warmen Pullover, den er fast nicht eingepackt hätte, da seine Reise ja nach Australien ging.
Dann machte er sich auf die Suche nach den anderen. Vom Bad aus gelangte man in eine Art Wirtschaftsraum. Hinter einer Tür auf der gegenüberliegenden Seite hörte er Kinderstimmen. Und tatsächlich, wenige Sekunden später fand er sich in der Farmhausküche wieder.
Da waren sie alle versammelt – die Kinder in Pantoffeln und Bademänteln, Phillippa inzwischen in Jeans und einer anderen Windjacke. Die Ärmel und die Schulterpartie waren dunkler als der Rest der Jacke. So, als wären sie feucht.
Was hatte sie noch gesagt? Alles war nass? Wo zur Hölle war der Trockner? Oder wenigstens ein Ofen oder offener Kamin, um die Kleider davor zu trocknen?
Erst jetzt fiel ihm auf, wie kalt es in der Küche war.
Phillippa und die Kinder saßen am Tisch, jeder mit einer dampfenden Tasse vor sich. Dolores lag auf einem alten Handtuch unter dem Tisch.
„Kommen Sie und wärmen Sie sich auch von innen auf, ehe Sie wieder den Elementen trotzen müssen“, forderte Phillippa ihn lächelnd auf. Die übergroße Windjacke verbarg ihre weiblichen Formen und ließ sie kaum älter als die Kinder wirken, doch ihr Lächeln haute Max einfach um. Er fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog und der Pulsschlag hochging. Trotz der heißen Dusche schauderte er.
Was passierte hier mit ihm?
War es der seltsame Ort? Die vielen Kinder? Die offenkundigen Probleme, mit denen die vier hier zu kämpfen hatten?
Auf keinen Fall waren es seine Probleme. Außer dem einen, Luc so schnell wie möglich von hier fortzubringen – mit oder ohne seine Phillippa.
„Möchten Sie einen heißen Kakao?“, fragte sie ihn freundlich. Sie stand auf und nahm einen Topf von einer kleinen elektrischen Kochplatte. Gleich daneben stand ein riesiger, altertümlicher Küchenherd, aber in dem brannte kein Feuer.
„Wir haben kein Brennholz mehr“, sagte sie, seinen Blick völlig richtig interpretierend.
„Ich weiß, Luc hat es bereits erwähnt. Warum gibt es kein Holz?“
„Phillippa hat sich den Rücken verrenkt“, klärte Luc ihn auf. „Deshalb kann sie keines hacken. Am anderen Ende der Weide stand ein abgestorbener Baum, den hat sie gefällt, um ihn zu Brennholz zu verarbeiten. Aber jetzt müssen wir warten, bis es ihr wieder besser geht.“
„Was ist mit Ihrem Rücken passiert?“, wollte Max von Phillippa wissen.
„Sie ist vom Dach gefallen“, sprang Luc erneut ein, da sie nicht gleich antwortete. „Als sie versuchte, lose Dachschindeln festzunageln. Ich habe ihr gesagt, sie wird noch runterfallen, und so war es auch.“
„Ich hatte doch keine andere Wahl“, verteidigte sie sich Luc gegenüber. Sie sprach mit ihm wie mit einem Erwachsenen. „Wenn ich es nicht getan hätte, ständen wir jetzt bis zum Hals im Wasser.“
„Ich hatte Angst“, informierte Sophie Max ernsthaft. War das überhaupt Sophie … die mit der roten Schleife? „Es war wirklich sehr, sehr windig. Luc hat ganz laut gerufen, sie soll da runterkommen.“
„Und dann kam erst ein Stück Dach und dann Phillippa runtergepurzelt“, vollendete Claire die Schauergeschichte. „Sophie hat geschrien, aber ich nicht. Phillippa hat sich geschnitten und ganz doll geblutet. Wir mussten ihre Hand verbinden.“
„Ich habe sie gewarnt …“, murmelte Luc düster.
Was ging hier eigentlich vor sich? Mit wem hatte er es hier überhaupt zu tun?
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