JULIA EXTRA Band 0286
es doch richtig, in ihr eine Verführerin zu sehen. Alexanders Miene verdüsterte sich. Ellie Mendoras war kein Mauerblümchen, nein, sie war eine selbstbewusste und zu allem entschlossene Frau, die alles dafür tat, ihren Willen durchzusetzen. Er war jedoch keineswegs bereit zuzulassen, dass Ellie weiteren Unfrieden auf der Insel stiftete. Sie war völlig unberechenbar und voller Leidenschaft. Es war an der Zeit, ein paar Dinge zwischen ihnen zu klären, und dazu befand er sich genau in der richtigen Stimmung.
Praktische Aufgaben retteten sie immer aus der Verzweiflung, und genau das würde ihr auch diesmal gelingen, entschied Ellie. Nach dem vergangenen Abend war sie tief verletzt und unglaublich wütend, aber wenn sie sich einfach nur auf ihre heutige Tour konzentrierte, dann wäre schon alles okay; sie würde darüber hinwegkommen.
Nachdem sie mit einem Taxi von der Olympus zurückgekehrt war, hatte sie sich in ihrem Boot verbarrikadiert und so lange geweint, bis sie vollkommen erschöpft war. Dann hatte sie mit Kissen um sich geworfen, bis sie sich daran erinnerte, dass sie selbst für ihr Tun verantwortlich war und auch für Alexanders Reaktion darauf. Sie musste sich zusammenreißen. Nie wieder würde sie sich zum Opfer machen lassen, das hatte sie sich vor langen Jahren geschworen.
Nachdem sie das wunderschöne rote Kleid gewaschen, getrocknet und gebügelt hatte, hängte sie es fort, um es später seiner Eigentümerin zurückzugeben. Als sie es in eine Kleiderhülle steckte, war sie seltsam traurig. Nach den hässlichen Anschuldigungen, die Alexander ihr an den Kopf geworfen hatte, wirkte das Kleid, das sie so stolz getragen hatte, irgendwie befleckt.
Von seiner günstigen Position am Tisch des Hafencafés aus beobachtete er, wie sie ihre Gäste an Bord begrüßte. Sie hatte Geduld, das musste man ihr lassen. Besonders zuvorkommend ging sie mit den älteren Passagieren um und mit den Müttern, die mehr Gepäck dabei hatten, als für eine Wochenendreise nötig war.
Alexander fand es schwer, sich abzuwenden. Er konnte nicht glauben, dass Ellie eine derart gute Schauspielerin sein sollte. Doch dann erinnerte er sich daran, dass auch seine Frau eine exzellente Schauspielerin gewesen war. All die Lügen, die sie ihm aufgetischt hatte … Lindos sei ihr Freund, ihr Vertrauter. Die Tatsache, dass die meisten ihrer vertraulichen Treffen in seinem Schlafzimmer stattfanden, müsse ihn, Alexander, nicht bekümmern. Lindos sei ein alter Mann, der sich nicht immer gut genug fühle, um aufzustehen.
Natürlich wusste er, dass sie log. Ohne zu zögern forderte er sie auf zu gehen. Was sie auch tat – ohne Protest. Sie tauschte ihn gegen ein fetteres Bankkonto ein. Zumindest glaubte sie das, denn damals hatte er noch nicht einen Bruchteil seines jetzigen Vermögens verdient. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie betrunken gewesen, und ihr gutes Aussehen schwand bereits dahin.
Und das war das erste und letzte Mal, dass er einer Frau auf den Leim gegangen war …
Alexander schob den Stuhl zurück und zog ein paar Geldscheine aus seiner Hosentasche. Er hatte sich um seine Geschäfte zu kümmern. Niemand ließ ihn einfach so stehen, auch nicht die junge Frau, die bald den Hafen in ihrem Fischerboot verlassen würde.
Ellie stieß sich von der Reling ab und bereitete sich auf die Begrüßung ihrer Gäste vor. Nachdem alle Passagiere einen Platz gefunden hatten, begrüßte sie die Gruppe und skizzierte kurz den geplanten Ablauf des Tages. Danach blickte sie beunruhigt auf ihre Uhr. Während der Tour verließ sie das Boot mehrere Male, um die kleinen Meeresbewohner einzusammeln, über die sie sprach, und das bedeutete, dass sie Hilfe brauchte. In der Regel nahm sie deshalb immer einen der einheimischen Jungs mit, doch an diesem Morgen war ihr kleiner Helfer zu spät dran.
Ellie biss sich auf die Lippen und suchte den Hafen ab. Sie konnte es sich nicht leisten, noch viel länger zu warten, denn dann würde sie die Flut verpassen. Also konnte sie nur hoffen, dass der Junge, der ihr so wärmstens empfohlen worden war, bald auftauchen würde.
Als sie sich wieder zu ihren Passagieren umdrehte, stellte sie erfreut fest, dass alle guter Laune waren und angeregt miteinander plauderten. Es schien eine sehr sympathische Gruppe zu sein. Ellie gesellte sich zu ihnen und erzählte ihnen die erste Geschichte des Tages. Ihr Gesicht begann zu leuchten, als sie beschrieb, wie weit ihr Vater die Arme ausgebreitet hatte, um
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