Julia Extra Band 0295
du nicht weißt warum, habe ich es nicht geschafft, dir gutes Benehmen beizubringen. Jennifer war zu euch allen freundlich. Hast du erwartet, dass ich sie auf dem Boden liegen lasse? Verletzt womöglich?“
Tim schaute nicht hoch, sondern schwieg.
Jennifer war fasziniert, mit welcher Geduld und Entschiedenheit Noah seinen rebellischen Sohn in die Schranken wies. Vor allem aber von der Liebe, die er dabei ausstrahlte.
Sosehr es sie drängte, sich für den Zusammenhalt dieser Familie einzusetzen, sie durfte sich nicht einmischen. Die Gefahr, Vater und Sohn zu nahe zu treten, war zu groß.
„Entschuldige dich bei Jennifer“, forderte Noah Tim auf. Das klang freundlich, aber unnachgiebig.
„Nein. Ich will ihre blöden Nudeln nicht. Ich finde es doof hier.“ Wütend schob er den Stuhl zurück und stürzte aus dem Haus.
Cilla nuckelte an ihrem Daumen, als hinge ihr Leben davon ab, während Rowdy seinen Vater so mitleidig ansah, als wüsste er, was der durchmachte. „Wir holen Timmy zurück, Daddy“, sagte er.
Weil ihr nichts Besseres einfiel, bückte Jennifer sich nach einem Topf, stellte ihn in das Spülbecken und ließ Wasser für die Nudeln hineinlaufen.
„Jennifer, äh, Mrs. March …“
Sie wollte ihm eine Entschuldigung ersparen, auch die Suche nach einer geschickten Ausrede, mit deren Hilfe er wieder Distanz herstellen könnte. Deshalb drehte sie sich rasch um und lächelte. „Die Nudelsauce ist schon fertig, Mr. Brannigan. Ich muss sie nur noch erwärmen. Warum lassen Sie Cilla und Rowdy nicht hier bei mir essen und kümmern sich eine Weile ungestört um Tim?“
Noah sagte zwar nichts, wirkte aber unschlüssig.
„Ich habe Erfahrung mit Kindern, Mr. Brannigan. Sicher wissen Sie, dass ich Tagesmutter bin. Auch mit sechs Kindern werde ich spielend fertig“, erklärte sie so sachlich wie möglich.
Die Muskeln an seinem Kiefer verspannten sich. „Ich kann Sie nicht bezahlen.“
Ach, deshalb hatte er gezögert, ihr Angebot anzunehmen. Das Geständnis war ihm gewiss schwergefallen.
„Ich bitte Sie, wir sind doch Nachbarn, Mr. Brannigan! Heute ist Sonntag, und ich habe nichts anderes vor. Außerdem habe ich den Kindern die Nudeln versprochen.“ Na, geh schon. Dein Sohn braucht dich. Merkst du nicht, wie sehr er sich danach sehnt, dass du ihm hinterherläufst?
Noah nickte. „Danke!“ Und schon war er draußen.
Bis auf Cillas schmatzendes Daumenlutschen war es nun mucksmäuschenstill in der Küche. „Lasst uns essen“, sagte Jennifer viel zu fröhlich. Cilla legte die Hand über die Nase, als wollte sie sich dahinter verstecken. Der kleine Rowdy sah Jennifer mit großen Augen treuherzig an. „Timmy wird ganz oft böse.“
Zwei Stunden später rief Noah den Sheriff an, um ihm zu sagen, dass Tim wieder einmal fortgelaufen war. Davor hatte er alle zehn Minuten die Nummer von Tims Handy gewählt, obwohl es abgestellt war. Überall dort, wo Tim schon einmal gewesen war, hatte er nach ihm gesucht. Sogar den Strand war er abgelaufen und den Pacific Highway ein paar Kilometer in beide Richtungen abgefahren.
Sheriff Sherbrooke empfahl Noah diesmal nicht, seine Kinder anzuleinen. Seitdem er aus einer Recherche im Computernetz der Polizei von Belinda erfahren hatte, machte er keine Scherze mehr, sondern blieb ernst und zeigte Mitleid. Noah wusste nicht, was er unerträglicher fand.
Bevor er sich ein zweites Mal auf die Suche begab, wollte er Cilla und Rowdy abholen. Doch aus Erfahrung wusste er, dass Tim erst wieder auftauchen würde, wenn die Zeit dafür reif war. Oder gar nicht. Auch diese Möglichkeit musste man in Betracht ziehen. Daher rührte seine panische Angst, wenn er Tim oder Cilla nicht finden konnte. Sein ganzes Leben drehte sich darum, die Kinder nicht zu verlieren.
Als er sich dem March-Haus näherte und Lachen und Quietschen vernahm, fühlte er sich einen Moment lang erleichtert. Doch gleich darauf machte er sich Vorwürfe. Jennifer verstand es, mit Kindern umzugehen. Wenn er nicht aufgekreuzt wäre, hätte Tim keinen Grund gehabt fortzulaufen.
Am liebsten wäre er wieder davongeschlichen, hätte seine Kinder dagelassen und sich den suchenden Polizisten angeschlossen. Aber Jennifer March hatte ein Recht auf ihren Sonntag, und er wollte ihre Hilfsbereitschaft nicht überstrapazieren.
In diesem Augenblick wurde die Hintertür aufgestoßen, und seine Nachbarin stürzte heraus. Ihr langer Zopf schillerte in allen Farben des Regenbogens. Lachend lief sie davon. Mit großen Pinseln in
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