Julia Extra Band 0313
hatte Miguel Abstand gehalten von dem sinnlichen Strudel, der ihn verschlingen und ihn näher und näher zu ihr reißen wollte. Und ausgerechnet in dem Moment, als er sich Vorwürfe machte, weil er sie falsch beurteilt hatte, da hatte sie ihm bewiesen, was für ein kalkulierendes Biest sie war.
Jetzt lag sie auf der Couch und schlief, als hätte sie keine einzige Sorge auf der Welt – oder wäre völlig erschöpft. Als er näher kam, das nasse Handtuch um die Hüften, mit Sand unter den Fußsohlen, vermutete er, dass Letzteres der Fall war.
Besorgt runzelte Miguel die Stirn. Allegra war blass und viel zu dünn, die schlichte Bluse und die helle Hose hingen lose an ihrem Körper. Dass er sich noch immer Sorgen um sie machte, ärgerte ihn maßlos. Rache war es, was sie verdient hatte, nicht Sorge. Schließlich hatte er allen Grund, sie zu hassen. Und ja, er hasste sie!
Er verabscheute sie dafür, dass sie so ruhig schlafen konnte, während er seit sechs Monaten keinen Schlaf mehr fand.
Doch so hatte sie noch nie ausgesehen, so zerbrechlich, so gläsern. Viel zu entkräftet für einen Kampf. Dass die Begegnung ein Kampf werden würde, daran zweifelte er nicht, denn er hatte geschworen, sie für ihre Achtlosigkeit büßen zu lassen – für die Gleichgültigkeit gegenüber der gemeinsamen Tochter und dem Gelübde, das sie ihm gegenüber abgelegt hatte.
Sie hatte ihre Ehe und ihre Familie zerstört. Sie hatte ihm bewiesen, wie richtig seine Entscheidung gewesen war, einen Teil von sich zurückzuhalten. Anstatt in Mexiko zu bleiben und gemeinsam die Tochter zu beerdigen, war sie mit ihrem Liebhaber nach England zurückgeflogen, hatte ihren Mann und ihre tote Tochter einfach vergessen.
Er aber würde ihre Niedertracht nie vergessen.
Abrupt wandte er sich von ihr ab, und Allegra erwachte mit einem Ruck, wie jemand, der instinktiv spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Ihre Blicke trafen aufeinander, seiner blitzend vor Wut und ihrer nervös und unsicher.
Ein dünnes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „ Buenos noches, querida . Schön, dass du endlich wieder zu Hause bist.“
Sie setzte sich hastig auf und blinzelte die Schlaftrunkenheit fort. „Und wie schön, dass du hier bist, um mich zu begrüßen.“ Ihr Blick glitt über seine fast nackte Gestalt. „Ausnahmsweise.“
Ein Schlag, den er nicht verdient hatte. Sí, die Wochen vor der Geburt der Tochter hatte er sich rar gemacht. Ihr Körper war so weich und üppig gewesen und hatte ihn gelockt, alle Zurückhaltung fallen zu lassen. Damals war ihm klar geworden, welche Macht sie über ihn besaß, aber aus Erfahrung wusste er, dass mit der Liebe auch die Angst vor dem Verlust kam, kalt und scharf.
Also hatte er sich in die Arbeit gestürzt, schließlich war er ein Gutierrez. Wie schon die Generationen vor ihm, hielt er Geschäft und Familie strikt getrennt. Seine Ehefrau würde es eben lernen müssen.
Nur hatte sie es nicht gelernt. Stattdessen war sie mit einem anderen Mann auf und davon.
„Weshalb bist du hier?“, fragte er.
„Der Schlussstrich.“
Er beschrieb eine gelangweilte Geste mit der Hand. „Soll heißen?“
Sie sog bebend den Atem ein, was ihre gefasste Haltung Lügen strafte. „Ich will Cristobels Grab besuchen.“ Ihr Blick glitt traurig durch den Raum. „Ich will das Haus verkaufen.“ Ihre Augen lagen jetzt auf seinem Gesicht. „Und ich will die Scheidung.“
Er hatte nichts anderes erwartet, dennoch ärgerte ihn ihre kühl vorgebrachte Auflistung. „Bist du zu deinem Doktor zurückgegangen?“
„Nein.“
Er glaubte ihr. Diesen Mann hatte sie hinter sich gelassen, genau wie ihn. „Unsere Tochter liegt auf dem Familienfriedhof begraben.“
„Das dachte ich mir. Aber du kannst mich nicht davon zurückhalten, das Grab meines Kindes zu besuchen.“
Könnte er. Ein simplerAnruf von ihm, undAllegraVandohrn würde des Landes verwiesen werden. „Ich begleite dich.“
Er hatte mit Protest gerechnet, stattdessen nickte sie nur knapp und fragte spitz: „Wie oft bist du in meinem Haus gewesen?“
„So oft ich wollte.“
„Deine Dreistigkeit erstaunt mich immer wieder. Du hättest in einem Hotel bleiben können. Oder zur Hazienda zurückfahren.“
„Weder das eine noch das andere gefiel mir.“ Rache tobte in ihm, aber das war gut so. Es lenkte von den anderen Gefühlen ab, die drohten die Oberhand in ihm zu gewinnen. „Ich mag die Menschenmengen im Hotel nicht, und die lange Fahrt zur Hazienda kann gefährlich sein, wie
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