Julia Extra Band 0316
reifer zu werden, aber ich kann eine Beziehung mit dir nicht riskieren. Mir hat man auch wehgetan. Jetzt heißt es alles oder nichts für mich, und diesmal weiche ich nicht davon ab. Ich gebe mich nicht mehr mit weniger zufrieden. Das Zweitbeste kann ich nicht länger akzeptieren.“
„Du findest, ich wäre nur das Zweitbeste?“, fragte er mit schmalen Lippen.
„Es tut mir leid, aber ich sage, was ich für die Wahrheit halte“, antwortete sie.
Er glaubte, so viel zu bieten zu haben, und sie warf es ihm quasi vor die Füße, weil es nicht gut genug war.
Weil er nicht gut genug war.
Sie hatte sich zur Richterin aufgespielt und ihn verurteilt. Ungerecht! Und dieses Gefühl hasste er, hatte er schon immer gehasst. An einem unsichtbaren Maßstab gemessen und für unzureichend erklärt zu werden.
Jahrelang hatte er diesem Gefühl entkommen können, indem er Erfolg auf Erfolg häufte. Und jetzt musste er sich von Alice diese Vorwürfe anhören!
Von heißem Zorn erfüllt, wandte er sich um und eilte ohne ein weiteres Wort aus dem Haus. Die Tür warf er so heftig ins Schloss, dass sie von allein wieder aufsprang.
Cameron fuhr, obwohl es Sonntag war, in sein neues Firmengebäude und suchte jemand, den er herumkommandieren und anschnauzen konnte. Um sich abzureagieren. Leider waren nur einige Reinigungskräfte zu finden, die sich von ihm wenig beeindruckt zeigten.
Langsam kühlte seine Wut ab und hinterließ ein Gefühl von Leere und Niedergeschlagenheit.
Den ganzen Nachmittag und Abend dachte er darüber nach, was Alice ihm vorgeworfen hatte. Schließlich musste er zugeben, dass sie recht hatte – zumindest teilweise.
Er hatte so eifrig an seiner Fassade gearbeitet, dass er übersah, dass es eben nur eine Fassade war. Die anderen ließen sich davon blenden, aber Alice hatte gesehen, was nicht mit ihm stimmte: Er hatte Gefühle gemieden wie die Pest.
Ja, der Mann, der er noch vor wenigen Wochen gewesen war, hatte an Bindungsangst gelitten und war zu echten Beziehungen unfähig gewesen. Dazu auch noch stolz, arrogant und eingebildet.
Alice hatte das geändert. Sie hatte ihn verändert. Wie hatte sie das geschafft?
Was war mit ihm passiert?
Plötzlich hatte er eine Erleuchtung. Die Erkenntnis zuckte durch sein Gehirn wie ein Blitz: Er liebte Alice.
Das wusste er jetzt so sicher wie die Tatsache, dass die Erde rund war und die Sonne im Osten aufging. Dieses Wissen war wie in Granit gemeißelt, also unvergänglich. Er war sich ganz sicher.
Nur wollte Alice bestimmt nichts davon hören …
Was hatte sie gesagt? Auch ihr hätte man wehgetan. Wer konnte so etwas wagen? Einer Frau wie Alice wehtun?
Sie war überzeugt, dass seine Gefühle für sie nicht dauerhaft waren. Also musste er ihr das Gegenteil beweisen – indem er geduldig blieb. Im Lauf der Zeit würde sie merken, dass er sie weiterhin liebte.
Und wenn es hundert Jahre dauerte!
10. KAPITEL
Jennie kam ins Büro gewirbelt und warf Cameron eine Kusshand zu, dann setzte sie sich auf die Schreibtischkante.
„Das Gebäude ist fabelhaft, Bruderherz!“
„Wo hast du den ganzen letzten Monat über gesteckt?“, rief er aufgebracht.
„Oh, hier und da. Las Vegas, zum Beispiel.“
Lieber Himmel, schenk mir Geduld, dachte er, mühsam beherrscht. Jennie hatte ihn im Stich gelassen, als er den Gipfelpunkt seiner bisherigen Karriere zelebrieren wollte, und nun kam sie einfach so daher, als wäre nichts gewesen.
Und was war das mit dem Durchbrennen gewesen? Er hatte überlegt, Privatdetektive auf sie anzusetzen, weil er so besorgt um sie gewesen war, aber sie sah großartig aus.
Nur wusste er jetzt nicht, ob er sie heftig umarmen oder ihr den Hals umdrehen sollte.
Die brüderliche Zuneigung trug den Sieg über die Mordgelüste davon.
Er stellte sich vor Jennie und musterte sie. „Alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte er sich schroff.
„Bestens!“ Sie strahlte ihn an. „Sieh mal meine schöne Sonnenbräune. Die habe ich mir in Acapulco zugelegt.“
Ja, so war sie. Er machte sich Sorgen, und sie lag inzwischen in der Sonne. Manchmal machte sie ihn rasend, aber er freute sich aufrichtig, sie wieder wohlbehalten in London zu sehen. Nun umarmte er sie.
„Nicht so fest, du erdrückst mich“, klagte sie scherzend.
Er gab ihr einen Kuss auf den Scheitel und ließ sie los.
Jennie sah ihn forschend an, den Kopf zur Seite gelegt. Obwohl sie so frivol wirkte, konnte sie sehr scharfsinnig sein. Er musste verhindern, dass sie ihn wegen des Balls
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