Julia Extra Band 0327
hielt weiterhin still. Behutsam legte er seine Hand auf ihre. „Ist dir etwas eingefallen?“
Angestrengt versuchte Emelia, sich mental an dem verschwommenen Bild festzuklammern, das wie ein Geist vor ihrem inneren Auge aufgetaucht war. Eigentlich nur wie der Schatten eines Geistes … „Ich weiß nicht“, begann sie unschlüssig und zog ihre Hand unter seiner hervor. „Für ein paar Sekunden dachte ich … aber wahrscheinlich war es doch nur …“
Javier streckte den Arm aus und zwang Emelia mit einer Handbewegung, ihre Fingerspitzen an seine Wange zu legen. „Berühre mich weiter, querida !“, bat er eindringlich. „Man muss alle Sinne benutzen, um seinem Gehirn einen Anstoß zu geben. Manchmal ist es ein bestimmter Geruch, ein Geräusch oder eine Farbe.“
Gehorsam ließ sie ihre Finger über seine markanten Gesichtszüge gleiten. Ganz langsam, sorgfältig, behutsam. Javier schloss die Augen, und als sich ihre Hand seinem Kinn näherte, öffnete er den Mund und umschloss einen Finger mit seinen Lippen. Ruckartig zog Emelia sie zurück.
„Entschuldige, aber es nützt leider nichts“, sagte sie tonlos.
Man konnte an seiner Miene nur schwer ablesen, was genau in ihm vorging. Es wirkte wie eine Mischung aus Verärgerung, Enttäuschung und Gleichgültigkeit. „Dann ruh dich schön aus, bevor es Essen gibt. Den Rahmen lass hier bitte liegen, da kümmert sich Aldana später drum. Ich sage ihr Bescheid. Und falls du etwas brauchen solltest, einfach die neun auf deinem Zimmertelefon drücken. Aldana bringt dir dann etwas zu trinken oder was du sonst noch wünschst.“
Wortlos sah sie zu, wie er den Raum verließ, ohne sich noch einmal umzudrehen. Nur der Klang seiner schweren Stiefel war noch im Flur zu hören.
Vollkommen desorientiert wachte Emelia nach einem kurzen Dämmerschlaf auf und stolperte ins Badezimmer, um sich frisch zu machen. Glücklicherweise blieb ihr bis zum Abendessen noch etwas Zeit.
Während das warme Wasser in der Badewanne allmählich die Anspannung aus ihrem Körper weichen ließ, dachte sie an ihre Kindheit in Australien zurück. Es war unendlich schwer, nicht ständig Peter vor Augen zu haben, der nun in einem dunklen, kalten Grab lag.
Noch vor wenigen Tagen, so schien es Emelia, hatten sie zusammen nach einem Auftritt von Emelia im Silver Room Kaffee getrunken.
Die Polizei hatte ihr zwar bestätigt, der Unfall wäre durch zu hohe Geschwindigkeit verursacht worden, trotzdem war Emelia diese Begründung nicht besonders schlüssig. Peter hatte als Teenager einen guten Freund durch einen tödlichen Autounfall verloren und war seither ein extrem zurückhaltender, umsichtiger Fahrer gewesen. Eine Eigenschaft, die Emelia an ihm immer bewundert hatte. Eine von vielen.
In ihrer Jugend hatte Peter öfter als nur einmal angedeutet, dass er sich mehr als eine rein platonische Freundschaft wünschte, und jedes einzelne Mal hatte Emelia ihn so sachte wie möglich abgewiesen. Sie waren zwar enge Freunde und hatten auch viele gemeinsame Interessen, allerdings konnte sie sich niemals vorstellen, mit Peter intim zu werden.
Sie hatte ihn eher als Bruder betrachtet. Für mehr reichte die berühmte Chemie einfach nicht, jedenfalls nicht auf ihrer Seite. Bei Männern war das oft anders – Emelia wusste das – und Peter bildete keine Ausnahme. Oft drehte er sich nach hübschen Frauen um, die in seiner Hotelbar auftauchten. Im Gegensatz zu vielen Frauen konnten Männer eben auch erfüllenden Sex mit einer Fremden erleben. Für Emelia kam so etwas gar nicht infrage, oder etwa doch?
Sie dachte an Javier, ihren Ehemann, und an sein offenherziges Geständnis, wie gern er mit ihr schlafen würde. Und jedes seiner Worte war gleichzeitig ein erotisches Versprechen, dem Emelia nur schwer widerstehen konnte. Die Frage war schon lange nicht mehr wann , sondern wo !
Er wusste es.
Sie wusste es.
Die intensive Begegnung mit ihm im Arbeitszimmer war wunderschön gewesen, und sie hatte sich nicht falsch oder unvertraut angefühlt. Emelia hatte praktisch instinktiv auf Javier reagiert, und die Vorstellung, ganz von ihm eingenommen zu werden, war überwältigend schön.
Als Javier wenig später an die Badezimmertür klopfte, erhielt er keine Antwort. Nach dem dritten Versuch öffnete er die Tür und erschrak fast zu Tode, weil er Emelia regungslos mit geschlossenen Augen in der Wanne liegen sah. Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Mit einem Satz war Javier bei ihr.
„Emelia!“, rief er und
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