Julia Extra Band 0328
Vielleicht sollte er am Empfang nachfragen.
Hinter sich hörte er erneutes Kichern. Das Mädchen war wieder unter den Schreibtisch gekrabbelt und schaute jetzt schelmisch zu ihm auf. Anscheinend hielt es die ganze Sache für ein neues Spiel.
Ein eigenartiges Gefühl machte sich in seiner Brust bemerkbar – das Baby war wirklich niedlich. Unwillkürlich dachte er an seine Neffen. Wie lange war es her, seit er die beiden und seine Schwester Carissa das letzte Mal besucht hatte?
Aber die sentimentale Regung verging schlagartig, als er sah, wie eine kleine Hand nach dem Kabel griff, das seinen Rechner mit der Steckdose verband. Er machte einen Satz nach vorn. „ Nein! Nicht! “
Leider kam er zu spät.
2. KAPITEL
Trotz Sallys Bedenken klappte es mit dem Vorstellungsgespräch.
Als sie Blackcorps Personalabteilung anrief, um von ihrem Dilemma zu berichten, zeigte sich die Chefin Janet Keaton sehr verständnisvoll und schlug kurzerhand vor, Rose einfach mitzubringen.
„Heute ist der letzte Tag für die Jobinterviews“, erklärte sie. „Glauben Sie, Ihre Nichte würde sich während unseres Gesprächs ruhig verhalten?“
„Garantieren kann ich das nicht“, erwiderte Sally vorsichtig. „Aber wenn ich genügend Spielsachen mitbringe, geht es vielleicht gut.“
„Versuchen wir es doch einfach!“, meinte Janet. „Denn ich glaube nicht, dass ich Ihren Termin auf den Nachmittag verschieben kann.“
Zum Glück war das nicht notwendig. Sally und Rose trafen pünktlich um neun bei Blackcorp ein, und die Kleine verhielt sich vorbildlich. Sie blieb brav in einer Ecke des Personalbüros und spielte mit ihren bunten Plastikbausteinen, während Sally die Fragen von Janet Keaton beantwortete.
Sie berichtete von ihrer Kindheit in Tarra-Binya; von den Jahren im Internat, der benachbarten Großstadt und von den Computerkursen, die sie dort erfolgreich absolviert hatte. Sie erzählte von ihrer Tante Chloe Porter und deren Kunstgalerie in Sydney, wo sie jedes Jahr in den Sommerferien am Empfang gearbeitet hatte. Und sie sprach von Chloes Haus, das jetzt ihr gehörte und in dem sie wohnte.
„Ist Ihnen der Abschied von zu Hause nicht schwergefallen?“, fragte Janet.
Fast wäre Sally mit der Wahrheit herausgerückt – dass es endlich Zeit für sie wurde, auf eigenen Füßen zu stehen, anstatt sich von Eltern und Brüdern bemuttern zu lassen. Doch mit dieser Erklärung tat sie sich bei einem Vorstellungsgespräch wahrscheinlich keinen Gefallen.
„Eigentlich wollte ich schon immer in Sydney leben“, erwiderte sie, ohne zu lügen. „Die Stadt hat Flair und eine Menge zu bieten. Ich erinnere mich noch gut, wie viel Spaß ich in den Sommerferien hier hatte.“
„Das glaube ich gern. Aber in einer Kunstgalerie zu arbeiten ist etwas anderes als für eine Unternehmensberatung“, bemerkte Janet trocken. „Was können Sie mir über Blackcorp oder den Berg- und Tagebau in Australien erzählen?“
Sally holte tief Luft – zum Glück hatte sie sich im Internet informiert. „Bergbau und Hüttenwesen gehören zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Australiens. Und Blackcorp ist eine der renommiertesten Firmen für Unternehmensberatung auf dem Gebiet. Zwei meiner Brüder arbeiten übrigens auch in der Branche, einer in Queensland, der andere an der Westküste.“
Janet nickte ermutigend.
„China ist der wichtigste Markt. Unternehmensberater wie Blackcorp sind sehr gefragt, weil sie Unterbringung, Verpflegung und dergleichen im Ausland organisieren und in Umweltfragen Bescheid wissen …“ Sally biss sich auf die Lippe. So langsam gingen ihre Kenntnisse zur Neige – würden sie ausreichen? Vermutlich nicht.
Aber Janet lächelte anerkennend. „Sehr schön.“ Sie nahm einen Vordruck vom Schreibtisch und reichte ihn Sally. „Das ist ein Fragebogen, und ich möchte Sie bitten, ihn jetzt auszufüllen. Es handelt sich um ein Persönlichkeitsprofil, bei dem es weder richtige noch falsche Antworten gibt. Kreuzen Sie einfach an, was am besten auf Sie zutrifft. Die Informationen sind für unser Mitarbeiterseminar zur Teambildung sehr hilfreich.“
Ein Seminar zur Teambildung hörte sich gut an. Sally erinnerte sich an ähnliche Übungen aus der Internatszeit, die ihr immer gut gefallen hatten. Sie warf einen Blick auf die erste Seite des Fragebogens.
Sie sind gern Mittelpunkt einer Gruppe – Ja/Nein.
Sie lassen sich vom Verstand leiten, nicht vom Gefühl – Ja/Nein.
In den meisten Situationen bewahren Sie einen klaren Kopf
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