Julia Extra Band 0328
– Ja/Nein.
Lächelnd machte sie sich an die Arbeit, aber weit kam sie nicht.
„Lieber Himmel! Wo ist das Kind?“, rief Janet plötzlich.
Sally hob den Kopf und schaute in die Ecke, wo ihre Nichte zuletzt gespielt hatte. Die Bausteine lagen noch da, aber Rose war verschwunden. Dafür stand die Tür zum Gang einen Spaltbreit offen.
Sie sprang auf und lief aus dem Büro, Janet Keaton auf den Fersen. Der Gang war leer, von dem Mädchen keine Spur. Ihr wurde fast übel vor Angst. „Ich … Es tut mir so leid. Ich hätte öfter nach ihr schauen sollen, aber sie war so brav, dass ich nicht mehr an sie gedacht habe …“ Sie schluckte krampfhaft. „Wo kann sie nur sein?“
„Weit gekommen ist sie bestimmt nicht“, meinte Janet. „Für den Fahrstuhl ist sie zu klein, also ist sie auf dieser Etage. Sie nehmen sich die Büros zur Rechten vor, Sally, und ich die zur Linken.“
„In Ordnung.“ Sally zitterte am ganzen Körper. Eine schöne Tante war sie! Wie konnte sie ihre fünfzehn Monate alte Nichte im siebenundzwanzigsten Stockwerk eines Wolkenkratzers verlieren? Und Anna vertraute ihr!
Sie hob die Hand, um an die erste Tür zu klopfen, als sie am Ende des Korridors eine männliche Gestalt erblickte – mit Rose auf dem Arm!
Schwindlig vor Erleichterung wollte sie ihnen entgegenlaufen, aber dann unterdrückte sie den Impuls. Der Mann war groß und athletisch gebaut, und selbst auf die Entfernung erkannte sie, dass seine Miene nichts Gutes verhieß.
„Oje!“, entfuhr es Janet Keaton. Auch sie hatte die beiden erspäht. Ganz offensichtlich war Rose an den falschen Retter geraten.
Als er mit langen Schritten auf sie zukam, musterte Sally ihn genauer. Der Mann sah fantastisch aus, trotz der Gewitterwolken auf seiner Stirn. Er hatte dichte, fast schwarze Haare und ebenso dunkle Augen. Das markante Kinn zeigte bereits den ersten Bartschatten, dabei war es noch nicht einmal Mittag. Er trug einen anthrazitgrauen Anzug, dazu ein blütenweißes Hemd und eine gestreifte Seidenkrawatte. Zweifellos ein hohes Tier.
Sally lief es kalt über den Rücken, und den Bruchteil einer Sekunde verspürte sie Panik. Sein Anblick weckte schlimme Erinnerungen, aber im nächsten Moment hatte sie sich gefasst. Dieses Kapitel war abgeschlossen, sie hatte keinen Grund zur Angst.
Sie lächelte ihn an und streckte die Arme nach ihrer Nichte aus. „Wie kann ich Ihnen nur danken? Ich habe mir schon solche Sorgen gemacht.“
Wortlos reichte er ihr das Kind, als könne er es nicht schnell genug loswerden.
„War Rose in Ihrem Büro, Logan?“, fragte Janet ungläubig.
„Unter meinem Schreibtisch.“ Die Stirnfalten vertieften sich. „Was geht hier vor, Janet? Haben Sie einen Kindergarten aufgemacht?“
„Daran bin ich schuld“, sagte Sally schnell. „Ich musste sie mitbringen, weil ich niemanden zum Aufpassen hatte. Es tut mir sehr leid, dass die Kleine Sie gestört hat.“ Wieder versuchte sie es mit einem Lächeln, aber auch dieses verfehlte seinen Zweck.
„Zum Glück ist sie noch zu klein, um Schaden anzurichten“, meinte Janet diplomatisch.
„Sie hat das Kabel aus meinem Rechner gezogen.“
„Rose!“, rügte Sally leise.
„Schicken Sie mir so schnell wie möglich einen unserer IT-Leute“, fuhr er, an Janet gewandt, fort. „Meine ganze Arbeit von heute Morgen ist im Eimer.“
„Speichern Sie Ihre Dokumente denn nicht regelmäßig?“, fragte Sally erstaunt.
„Sally …“ Janets Stimme hatte plötzlich einen sonderbaren Klang. „Darf ich Sie mit unserem Direktor Mr. Logan Black bekannt machen?“
„Oh.“
Der Chef höchstpersönlich! Da war sie ja ganz schön ins Fettnäpfchen getreten. Das Blut stieg ihr in die Wangen, und ihr Lächeln war wie weggewischt. „Sehr angenehm, Mr. Black.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen.
„Logan, das ist Sally Finch. Sie bewirbt sich um den Posten am Empfang.“
Er zog die Brauen leicht in die Höhe, schüttelte dann aber höflich die dargebotene Hand.
Peinliche Stille trat ein, bis Rose plötzlich zu quengeln anfing und sich die Augen rieb – offenbar war es Zeit für ihr Mittagsschläfchen. Besänftigend wiegte Sally sie auf dem Arm, dann hauchte sie einen Kuss auf den Kopf des kleinen Mädchens, das sich an ihre Schulter lehnte und die Augen zumachte.
Logan betrachtete das hübsche Bild und seine Züge verloren etwas von ihrer Strenge. Überrascht registrierte Sally den milden Ausdruck in seinem Gesicht und fragte sich, ob Mr. Black wirklich so hartgesotten
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