Julia Extra Band 0349
offensichtlich nicht bewusst.
Rafael schon!
Am Montag der zweiten Praktikumswoche wurde Libby ins Büro des Chefs bestellt. Während sie im Vorzimmer wartete, fühlte sie sich so unbehaglich wie eine ungezogene Schülerin, die zum Direktor gerufen worden war.
Ihrer Familie hatte sie am Vorabend gestanden, dass sie mittlerweile Praktikantin bei Rafael Alejandro war. Vielleicht hätte sie es noch länger verschwiegen, wenn ihr Vater nicht so glücklich über den Zahlungsaufschub gewesen wäre und behauptet hätte, der Spanier habe seinen Fehler eingesehen.
Nun erinnerte Libby sich lebhaft an einige Passagen des Gesprächs.
„Dieser junge Mann kann seinem Großvater nicht das Wasser reichen“, meinte ihr Vater herablassend. „Er hat nicht genug Erfahrung.“
Eine Woche vorher hätte sie ihm vielleicht zugestimmt, jetzt war sie eher der Meinung, dass man nicht alle Schuld bei Rafael suchen durfte. Das sagte sie allerdings nicht.
„Ich dachte mir, wir könnten morgen zum Pferderennen fahren“, schlug ihr Vater dann vor.
„Oh, wunderbar!“ Ihre Mutter war begeistert. „Das lenkt dich bestimmt von den Sorgen ab. Wir können ja alle fahren. Was ist mit dir, Libby? Kommst du mit?“
„Nein!“, antwortete sie kurz angebunden. Wie gern Dad sich ablenken lässt .
„Mike gibt dir sicher einen Tag frei, wenn ich mit ihm rede.“
Libby atmete tief durch. „Das täte er bestimmt … aber ich habe vorige Woche gekündigt.“
„Warum denn das?“, fragten ihre Eltern wie aus einem Mund.
„Ich habe einen neuen Job, besser gesagt, ich mache ein Praktikum, und …“
„Das ist ja ausgezeichnet. Gut gemacht, Liebes! Warum hast du es uns nicht früher gesagt?“, wollte ihre Mutter wissen.
„Weil ich … für Rafael Alejandro arbeite. Das heißt, nicht für ihn persönlich. In seiner Firma“, erklärte Libby befangen.
„Das ist nicht dein Ernst!“, brüllte ihr Vater los.
„Nicht aufregen, Philip. Denk an deinen Blutdruck. Es ist bestimmt nur ein Scherz. Libby, sag ihm doch …“
„Es ist wahr“, unterbrach sie ihre Mutter. „Ich habe schon die ganze letzte Woche dort gearbeitet.“
Ab da wurde die Debatte hitzig. Ihr Vater warf ihr vor, illoyal zu sein, und nannte sie ein dummes Gör. Ihre Mutter weinte.
Libby hielt sich mühsam zurück, ihren Eltern zu sagen, welchen Vorteil das Praktikum ihnen bringen konnte: nämlich die Rettung des Betriebs!
„Die Erfahrung könnte mir helfen, einen guten Job zu bekommen“, verteidigte sie sich stattdessen.
„Du hast einen guten Job bei Mike“, hielt ihr Vater dagegen.
„Dad, ich schreibe über Kirchenbasars und Hundeshows. Ich langweile mich!“
„Langweilen?“ Ihr Vater lachte verächtlich. „Seit wann?“
Schon immer, dachte Libby und war von der Erkenntnis schockiert.
„Rafael möchte Sie jetzt sehen, Miss Marchant.“
Gretchens Stimme holte Libby in die Gegenwart zurück. Sie atmete tief durch und ging ins Chefbüro.
Letztes Mal hat er mich über die Schwelle getragen, fiel ihr ein, und sie stolperte. Zum Glück hatte Rafael gerade nicht zu ihr geschaut.
Er sah überhaupt nicht hoch! Sie wartete, dass er Zeit für sie fand, und wurde immer nervöser und missmutiger.
Ich hätte mir keine Sorgen wegen sexueller Belästigung von seiner Seite zu machen brauchen, dachte Libby. Sie war ihm in der einen Woche nur ein Mal zufällig über den Weg gelaufen, und auch da hatte er sie völlig ignoriert. Beinah so, als wäre sie unsichtbar.
Sie wollte ja gar nicht, dass er sie beachtete. Sie wollte auch von ihm keine Notiz nehmen, jedenfalls nicht auf diese beunruhigende Weise, die ihren Puls in schwindelnde Höhen trieb.
Auch jetzt wieder pochte ihr Herz rascher, und ein seltsames Prickeln breitete sich in ihrem Körper aus.
„Diese Woche werden Sie an der Seite von …“ Er unterbrach sich und blickte hoch.
Rafael war überrascht von der Begierde, die ihn durchfuhr, als er Libby vor sich stehen sah, die Hände brav gefaltet wie eine Klosterschülerin. Ihr Körper strahlte so viel Sinnlichkeit aus, dass Rafael sich nur mühsam zurückhalten konnte.
Am liebsten hätte er sie gepackt, auf den Teppich gezerrt und sich gleich hier und jetzt mit ihr vergnügt.
„Ihnen arbeiten?“, ergänzte sie sachlich.
Oh nein, das nicht! Sie eine Woche lang ständig um sich zu haben wäre unerträglich. So viel Beherrschung traute er sich nun doch nicht zu.
„Nein, Sie werden Rob Monroe zugeteilt“, informierte er sie ebenfalls sachlich.
„Gut!“
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