Julia Extra Band 0349
Gelegentlich hatte sie flüchtig zu sehen bekommen, was hinter der sehr hübschen Fassade war, aber ansonsten konnte man getrost annehmen, dass Rob Dalton keine vielschichtige Persönlichkeit war. Nur gutes Aussehen und oberflächlicher Charme. Und Honor hatte Rob gern weiter so haben wollen.
Bis gestern. Dass er sich geschämt hatte, hatte sie anziehend gefunden. Es war, als hätte der perfekte äußere Schein einen Riss bekommen. Die Unvollkommenheit hatte sie fasziniert.
Sie war in Panik geraten und einfach in den Wald gerannt, ohne Rob dafür zu danken, dass er sie heil zurück ins Camp gebracht hatte, ohne seine Entschuldigung anzunehmen. Nicht, dass er sich, entschuldigt hatte, aber er hatte sich bemüht. Vielleicht war das für ihn auch noch ungewohnt gewesen.
Hatte sie die Flucht ergriffen, weil sie ihn nicht gernhaben, ihn nicht verstehen wollte? Sich in seinen Armen vorzustellen war bloß eine körperliche Reaktion auf ihn. Es war so viel einfacher, wenn er oberflächlich und unsympathisch war.
Ungefährlicher.
Ihr Seelenleben hatte sie schon offengelegt; auch ihr Herz offenzulegen wäre der Gipfel der Torheit.
Honor schüttelte den Kopf, um die unerwünschten Gedanken zu verscheuchen, und zog das T-Shirt über ihren Badeanzug. Das T-Shirt von gestern. Sie brachte immer nur wenige Kleidungsstücke mit auf die Insel. Was für eine Rolle spielte es, wenn die Vögel und Krabben sie ständig in denselben Sachen sahen?
Lächerlich, deswegen jetzt befangen zu sein, nur weil ein Mann hier war. Rob hatte lediglich die Kleidung, in der er losgefahren war, und zwei Ersatz-T-Shirts auf dem Boot. Die meiste Zeit lief er ohne herum, nur in schwarzen Shorts. Also sollte sie inzwischen daran gewöhnt sein. Aber immer, wenn Honor ihn erblickte, war es, als würde sie diesen herrlichen Oberkörper zum ersten Mal sehen.
Sie verließ das Lager und ging zu der Bucht mit der Gedenkstätte für die Emden. Das war der letzte Ort, wo Rob sie vermuten würde, falls er nach ihr suchte. Falls er es nicht tat, war es außerdem der erste Ort, wo sie ihn finden würde.
Den Gedanken ignorierte Honor lieber.
Ihr Herz schlug schneller, als sie den Strand erreichte und zwischen den Bäumen hindurch Rob ausmachte. Die Hände in die Taschen seiner Shorts geschoben, stand er bis zu den Knöcheln im Wasser. Noch war sie nicht so weit, mit ihm zu sprechen, sich der Wut in seinem Blick zu stellen oder, noch schlimmer, dem Mitleid. Honor wich in den Schatten der Kokospalmen zurück.
Gedankenverloren trat Rob nach Muscheln im Sand unter den kleinen Wellen, die ans Ufer plätscherten. Nicht heftig genug, um wütend zu sein, es wirkte eher, als wäre er … durcheinander. Sie zweifelte nicht daran, dass er bis gestern niemals irgendjemandem gestanden hatte, ichbezogen zu sein. Wahrscheinlich nicht einmal sich selbst.
Zum ersten Mal konnte sie ihn unbemerkt betrachten. Die Shorts saßen tief auf den schmalen Hüften und schmiegten sich an den festen Po. Der muskulöse Rücken und die breiten Schultern verrieten Kraft. Seine Figur war nicht massig, sondern athletisch. Wieder fragte Honor sich, wie viel vom echten Rob er vor ihr verbarg. Vor der Welt und vielleicht sogar vor sich selbst.
Jetzt drehte er sich um und kam den Strand hoch. Honor hielt den Atem an. Wenn Rob sie sah, würde er wissen, dass sie nach ihm suchte. Dass sie ihn heimlich beobachtete, obwohl sie ihn beschimpft hatte, weil er sie heimlich beobachtet hatte …
Rob ging an ihr vorbei, ohne sie zu entdecken, und sie stieß langsam den Atem aus.
7. KAPITEL
Ihre Arbeit am Schildkrötennistplatz war eine gute Möglichkeit, Rob noch länger aus dem Weg zu gehen. Das Logbuch auf dem Schoß, saß Honor auf ihrem Campingstuhl. Sie schaltete ihr UV-Licht ein, das für die Schildkröten unsichtbar war. Nicht, dass sie es in dieser Nacht wirklich brauchte, denn es war Vollmond.
Die Schäden an den Dünen sagten ihr, dass noch immer Suppenschildkröten nachts an den Strand kamen. Einige der Markierungsbänder waren abgerissen. Wenn eine Schildkröte ihr Nest über einem anderen schaufelte, wurde das erste mit Eiern meistens zerstört. Der Strand war klein, deshalb musste es zu Verlusten kommen.
Sich herauszuhalten und der Natur ihren Lauf zu lassen war beim ersten Mal am schwersten gewesen. Während eines Festlandprojekts hatte Honor eine seltene Kakaduart erforscht, und viele der Nester waren bei einem Buschfeuer verbrannt.
„Wenn die Leute wüssten, was in der Natur
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