Julia Extra Band 0349
„Ich freue mich auf meine Wache heute Nacht. Fürs Schlüpfen ist es zwar eigentlich noch ein bisschen früh, aber man kann nie wissen.“
„Honor … könnten wir …“
„Möchtest du Nudeln?“
Ihr übertrieben lebhafter Blick hatte etwas Verzweifeltes an sich, als würde sie sich gerade noch zusammenreißen.
Rob seufzte. „Ja, klar, wenn du genug übrig hast.“
Sich mit der Zubereitung der Zwei-Minuten-Nudeln zu beschäftigen war besser, als nachzudenken … als zu fühlen. Zum großen Teil konnte sich Honor an den Nachmittag nicht erinnern, aber sie wusste, dass sie auf dem Boot in Panik geraten war und Rob den Schlamassel hier im Camp hatte in Ordnung bringen müssen. Dass sie geweint und ihm viel zu viel erzählt hatte.
Und jetzt hatte Rob keine andere Wahl, als mit all dem fertig zu werden, was sie bei ihm abgeladen hatte. Armer Kerl. Er hatte eben so verlegen ausgesehen. Wahrscheinlich glaubte er, mit ihr darüber reden zu müssen. Dass sie ihn brauchte. Die Wahrheit war, dass sie niemanden brauchte. Sie kam allein zurecht. Je eher sie ihm das klarmachte, desto besser.
„Honor …“
„Ich bin so weit.“ Ihr fiel ein, dass sie seit dem kleinen Müsliriegel am Mittag nichts mehr gegessen hatte. Sie tat die Hälfte der Nudeln in ihre Schüssel und reichte Rob den Topf, dann setzte sie sich auf einen Baumstumpf so weit weg von Rob wie möglich und schob die Nudeln in der Schüssel herum. Trotz ihres knurrenden Magens hatte sie keinen Appetit.
Das Schweigen zwischen ihnen wurde fast greifbar.
„Es tut mir leid, dass ich dich gebeten habe, mit mir rauszufahren“, murmelte Rob schließlich angespannt.
Nie hätte sie gedacht, dass sie seine großspurige Selbstsicherheit einmal vermissen würde. Sie seufzte. „Es war nicht deine Schuld. Dir zu helfen war meine Entscheidung.“
„Was ist da draußen vor dem Riff passiert, Honor?“
Seltsam, sie war plötzlich regelrecht besessen von dem Wunsch, Rob alles zu erzählen. „Ich bin nicht mehr allein auf einem Boot gewesen, seit … Es war so ruhig. Ich habe nur das Wasser ans Boot schlagen und die Vögel rufen hören. Ich dachte, ich könnte es schaffen …“
Er stellte den Topf mit seinen ungegessenen Nudeln beiseite, kam zu ihr und setzte sich vor sie auf den Boden. Sie zuckte ein wenig zusammen. Bisher hatte sie Robs Nähe tröstlich gefunden, jetzt war Honor deswegen beunruhigt.
„Ich wollte an Land schwimmen“, redete sie schnell weiter, „aber ich konnte dich nicht dort unten zurücklassen. Du warst so lange weg. Ich bin einfach … die Erinnerungen …“
Es passierte ihr wieder. Für einen Moment kehrte alles blitzartig zurück, der azurblaue Himmel über ihr, die grauenhafte Stille, das viele Blut, die panische Angst.
Rob senkte den Kopf und betrachtete seine Füße. War er verlegen, weil sie Gefühle zeigte? Als er aufsah, brannte sich sein Blick in ihre Seele ein.
„Es ist meine Schuld. Ich konnte nicht warten. Ich wollte sofort tauchen.“
Ohne mehr über ihn wissen zu müssen, erkannte Honor, dass er zum ersten Mal überhaupt dergleichen einräumte. Sie musterte sein Gesicht und bemerkte, dass er nicht verlegen war. Seine gequälte Miene drückte etwas anderes aus. Honor spürte, wie ihr die Zurückhaltung ihm gegenüber mehr als nur ein bisschen abhandenkam.
„Du leidest heute meinetwegen.“ Voller Scham schaute Rob sie an.
Ihr stockte der Atem.
Da war er, der Mann, der sie neugierig gemacht hatte.
Ganze vierundzwanzig Stunden hatte Honor es geschafft, Rob aus dem Weg zu gehen, und das musste man erst einmal fertigbringen auf einer Insel von knapp über einem Quadratkilometer Größe. In der Nacht hatte Honor nach geschlüpften Schildkrötenjungen Ausschau gehalten und dann den größten Teil des Tages geschlafen.
Was war nur in sie gefahren? Wie konnte sie ihr Geheimnis jemandem enthüllen, den sie kaum kannte? Und Rob Dalton war der Letzte, dem sie sich anvertrauen sollte. Er war ein Spielertyp. Charmant, zweifellos begabt, wahrscheinlich verwöhnt. Männern wie ihm fiel immer alles zu, er hatte sich in seinem Leben nicht viel erkämpfen müssen.
Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, das stand außer Frage. Ständig erinnerte sich Honor zu unpassenden Zeiten an seinen kräftigen Körper in den Shorts, im Taucheranzug. Robs lässiges Selbstvertrauen sprach eine Frau wie sie an, der es an feiner Lebensart fehlte.
Honor spülte die Zahnpasta aus, spuckte das Wasser auf den Boden und bedeckte alles mit losem Sand.
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