Julia Extra Band 0349
und ihr Herz für ihre Jungs zu behalten? Ihre verlorenen Jungs.
Honor ignorierte ihre noch immer heftig prickelnde Haut und versuchte, die Stimme wiederzufinden. Ein einziges Wort brachte Honor heraus: „Sechs!“
8. KAPITEL
Zum ersten Mal wachte Honor ohne den vertrauten Schmerz in ihrer Brust auf. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was anders war. Was fehlte. Dann schämte sie sich.
Der Schmerz gehörte zu Nate und Justin und erinnerte sie wie die Narben täglich daran, dass sie tot waren.
Heute spürte sie keinen Kummer. Sie atmete leichter, und die Übelkeit, mit der sie zu leben gelernt hatte, stellte sich nicht ein. Der Druck auf ihrer Seele war nicht da.
Aber Honor fürchtete, treulos zu sein, weil sie so schmerzfrei aufgewacht war.
Oder hatte diese Unbeschwertheit etwas mit den Küssen von gestern Nacht zu tun?
Ihre Schuldgefühle verdoppelten sich. Es war ja gar nicht weit gegangen.
Honor band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen, zog Shorts und ein T-Shirt an und schlüpfte in himbeerrote Flipflops. Und die ganze Zeit versuchte sie, nicht an die Küsse zu denken. Bei Tagesanbruch war sie eingeschlafen und hatte von diesen Könnerlippen auf ihrem Gesicht, auf ihrem Mund geträumt. Davon, wie jede Faser ihres Körpers schwach geworden war, als Rob begonnen hatte, mit ihrer Zunge zu spielen.
So bin ich noch nie geküsst worden, dachte Honor. Womit sie Nate nicht herabsetzte, ebenso wenig wie damit, dass sie Robs überlegenes Können als Taucher und Seemann anerkannte. In vielen Bereichen hätte ihr verstorbener Mann Rob übertroffen: Elementarteilchenphysik. Sudoku. Rasenmähen.
Nate war älter als sie gewesen. Älter und ernsthafter. Seine Küsse waren warm und angenehm gewesen, sodass sie sich zärtlich geliebt gefühlt hatte. Selbst wenn sie sich nicht durch und durch weiblich gefühlt hatte. So wie jetzt, wenn Rob sie auch nur anlächelte.
Draußen blickte Honor sich zögernd um. Verdammt, wie sollte sie mit ihrer Arbeit vorankommen, wenn sie Angst davor hatte, ihr Zelt zu verlassen? In fünf Tagen kehrte das Versorgungsschiff mit neuen Vorräten zurück, und Robs Boot konnte repariert werden. Weniger als eine Woche – das war auszuhalten. Aber nicht das, was gestern Nacht zwischen ihnen vorgefallen war. Also musste sie sicherstellen, dass sie die Grenze nicht noch einmal überschritten.
In ein paar Tagen würde Rob auf dem Weg in die Zivilisation sein, und die Zeit, die er hier mit ihr im Indischen Ozean von der Außenwelt abgeschnitten war, würde einfach nur eine tolle Geschichte abgeben, die er auf Cocktailpartys herumerzählte.
Der Gedanke tat ein bisschen weh.
Sehr.
„Hallo.“ In Shorts und Bootsschuhen kam Rob von der Lagune ins Camp. „Ich mache dir einen Vorschlag.“
Dieses draufgängerische Lächeln begann, ihr ans Herz zu wachsen. Honor holte tief Luft. „Noch einen?“
„Einen anständigen. Ich möchte dich gern zum Schnorcheln mitnehmen. Am Riff ist es unter Wasser so schön, Honor. Das solltest du wirklich sehen.“ Hoffnungsvoll schaute Rob sie an.
Warum, in aller Welt, hielt er das für eine gute Idee? „Nein, Rob. Das kannst du nicht von mir verlangen.“
„Ich verlange es nicht, ich biete es dir an. Ich werde die ganze Zeit bei dir sein und dir zeigen, was du tun musst. Wenn es dir zu viel wird, tauchst du einfach auf. Finde das Paradies. Halt dich an mir fest.“ Rob blickte ihr in die Augen. „Lass mich dir das Meer zurückgeben, Honor.“
Seine dramatischen Worte hatten die gewünschte Wirkung. Sofort kämpften ihre Angst und der brennende Wunsch, davon frei zu sein, in ihrem Innern miteinander. Jahrelang hatte sie sich vor dem Meer gefürchtet und deshalb auf das verzichtet, was unter der Oberfläche war. Das Atoll wimmelte von Lebewesen, die sie noch nie aus der Nähe gesehen hatte.
Und Rob war bei ihr.
Finde das Paradies.
„Ich kann nicht hinter das Riff …“, sagte Honor zögernd.
„Okay. Wir bleiben, wo du dich wohlfühlst.“
Konnte sie es tun? Ihr Herz raste. Unwillkürlich schaute sie nach Nordosten. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie bereit dazu war. Sie nickte, und Rob lächelte übers ganze Gesicht vor Erleichterung. Ihr Puls beschleunigte aus einem anderen Grund. „Wann?“
„Was hast du jetzt gerade vor?“
„Jetzt?“, fragte Honor nervös. „Äh … schnorcheln?“
„Braves Mädchen. Du wirst es nicht bereuen.“
Da war sie sich nicht so sicher, aber Rob strahlte vor Stolz, und es fühlte sich nicht schlecht
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