Julia Extra Band 0350
Literatur zu studieren?“
„Ja, Literatur“, bekräftigte sie, selbst überrascht, wie ernst es ihr damit war.
Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. „Dann haben Sie also doch Ihren eigenen Traum.“
Sie schaute ihn verblüfft an. „Sieht ganz so aus. Obwohl ich wirklich nicht weiß, was ich mit dem Abschluss eigentlich anfangen soll. Zu Hause habe ich einmal einen Abendkurs über die Dichterin Emily Dickinson belegt, aber … ich habe natürlich nicht wirklich vor, selbst Dichterin zu werden.“
„Und ich dachte, Sie wären eine Optimistin.“
„Ja, das bin ich auch“, sagte sie lachend. „Also, wer weiß? Vielleicht werde ich ja eines Tages nur noch in Versen reden.“ Sie stützte die Ellbogen auf dem Tisch auf und blickte verträumt in ihr Glas. „‚Ich bringe ungewohnten Wein – lang durst’gen Lippen, nahe mein, und ruf’ sie auf zu trinken.‘“
Die Wirkung der poetischen Worte hallte in der folgenden Stille nach, während Sergej Hannah nachdenklich ansah.
„Emily Dickinson?“, fragte er schließlich leise, und Hannah nickte, wie gebannt von seinem intensiven Blick.
Ganz offensichtlich hatte sie schon zu viel Wein getrunken, wenn sie anfing, Gedichte zu rezitieren! Und als Sergej nun langsam sein Glas hob, als wolle er einen Toast ausbringen, und trank, tat Hannah es ihm nach. Irgendetwas war in diesem Moment zwischen ihnen geschehen, etwas Wichtiges … als hätten sie sich schweigend auf etwas verständigt. Aber auf was?
„Wie alt sind Sie jetzt?“ Seine Frage brach das Schweigen.
„Sechsundzwanzig. Ich weiß, das College ist schon eine Weile her, aber ich werde das Studium bestimmt wieder aufnehmen. Wenn ich etwas Geld …“
„Gespart habe?“, warf Sergej ein, und sie lachte.
„Ich weiß, was Sie denken. Ich hätte nicht alles für die Reise auf den Kopf hauen sollen, wenn es wirklich mein Wunsch ist, wieder zu studieren.“ Aber sie hatte diese Reise so sehr gebraucht. Nach dem Tod ihrer Mutter und dem Umzug ihrer besten Freundin Ashley nach Kalifornien hatte Hannah sich allein und verloren gefühlt. Sie musste erst einmal weg, Kraft tanken, bevor sie bereit war, den täglichen Überlebenskampf in dem kleinen Laden wieder aufzunehmen.
„Auch wenn es nicht klug scheint, ist es manchmal gut, ein wenig impulsiv zu handeln“, meinte Sergej überraschend.
So wie jetzt? Denn mit diesem aufregenden Mann bei Kerzenschein zu Abend zu essen, war ganz sicher das Impulsivste … und möglicherweise Leichtsinnigste …, was sie je in ihrem Leben getan hatte. Und dennoch hätte sie diesen Abend um nichts in der Welt missen mögen.
„Es erstaunt mich, das aus Ihrem Mund zu hören“, entgegnete sie mit einem kessen Augenaufschlag. „Wenn man bedenkt, wie sehr Sie mich heute Mittag in die Mangel genommen haben, weil ich meinen Pass in die Manteltasche gesteckt hatte.“
„Es gibt einen Unterschied zwischen impulsiv und verrückt.“
Hannah wurde ganz flau im Magen, als er sie so neckend ansah. „Also schön, haben Sie schon einmal etwas so Impulsives getan? Warten Sie, ich wette, Sie haben Schuhsohlen gegessen und auf der Straße geschlafen, um sich das Startkapital für Ihr eigenes Geschäft zusammenzusparen!“
Schlagartig wurde sein Gesicht so hart und abweisend, dass Hannah erschrak. Für Sekundenbruchteile schien sie einen Blick auf den Mann zu erhaschen, der sich hinter der gut aussehenden Fassade des erfolgreichen Geschäftsmannes verbarg, und was sie sah, ließ dunkle Geheimnisse und tiefe Verletzungen erahnen, die ihre Vorstellung übertrafen.
Dann hatte er sich wieder im Griff und lächelte. „Gar nicht so weit daneben.“
Sie ging auf seinen lockeren Ton ein. „Nun, diese Reise war jedenfalls sehr wichtig für mich, ob sie nun klug war oder nicht.“
„Warum hat Ihre Mutter sich nicht anderswo Hilfe gesucht, damit Sie Ihr Studium hätten beenden können?“
„Es war meine Entscheidung.“ Sie erinnerte sich noch genau an den Anruf, als ihre Mutter sie über den schweren Schlaganfall ihres Vaters informiert hatte. „Ich wollte nach Hause zurückkehren und meine Mutter im Laden und bei der Pflege meines Vaters unterstützen.“
Sergej nickte nur, aber Hannah spürte, dass er ihr nicht glaubte. „Was, in aller Welt, hat Sie eigentlich so zynisch gemacht?“, fragte sie eindringlich. „Sie misstrauen allem und jedem. Was hat Sie so werden lassen?“
„Die Erfahrung“, antwortete er schlicht.
„Aber Sie sind Millionär! So schlecht kann Ihr
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