Julia Extra Band 0350
sehr langer Zeit.“
Er konnte nicht viel älter als fünfunddreißig sein. „Als Sie noch ein Kind waren?“
Sergej presste die Lippen aufeinander. „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Keiner hat für nötig befunden, es mir zu sagen. Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen.“ Er beugte sich spöttisch vor. „Sie sind sehr neugierig, Hannah. Aber keine Sorge, wie Sie sehen, habe ich überlebt.“
„Leben ist nicht nur Überleben.“ Persönliche Fragen mochte er offenbar gar nicht.
Andrej erschien, um den nächsten Gang zu servieren. Pelmeni, mit Lammhack gefüllte Teigtaschen. Hannah kostete und seufzte hingerissen.
„Es schmeckt Ihnen?“, fragte Sergej lächelnd. „Anatoli, unser Küchenchef hier, kocht in der ersten Liga. Seine haute cuisine nach russischer Art ist weltbekannt.“
„Es ist köstlich.“ Hannah war froh, dass die angespannte Atmosphäre wieder verflogen war. „Schön, Sie wollen also nicht über Ihr Geschäft reden … oder zumindest über keine persönlichen Themen.“
Verblüfft schaute er sie an, und Hannah hielt seinem Blick unbewegt stand. Sie hatte nicht vor, sich von ihm einschüchtern zu lassen, denn sie ahnte, dass sich hinter all dem arroganten Gehabe ein weiches Herz verbarg. Hatte er sich nicht um sie gekümmert, wenngleich auf seine schroffe, rechthaberische Art? Sie hatte Mitgefühl in seinem Blick gesehen. Und sie vertraute Sergej Kholodov instinktiv.
Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht. „Sie sind sehr direkt.“
„Wenn Sie damit meinen, dass ich ehrlich bin, ja. Aber ich bin nicht neugierig“, fügte sie neckend hinzu. „Denn dann würde ich Sie jetzt fragen, aus welchem Grund Sie nicht über persönliche Dingen sprechen wollen.“
Jetzt lächelte er richtig. „Wie gut es doch ist, dass Sie nicht neugierig sind.“
Sie sah ihn forschend an, denn ihre Neugier war natürlich geweckt. Sergej Kholodov steckte voller Geheimnisse. Ja, sie fühlte sich sehr zu ihm hingezogen. Es war ein für sie neues, berauschendes Gefühl, denn Männer wie Sergej Kholodov verirrten sich nur äußerst selten nach Hadley Springs … und baten sie schon gar nicht um ein Date. Und es war ein Date … oder nicht?
„Ja, nicht wahr? Es ist wirklich gut“, pflichtete sie ihm verspätet bei, und sein Lächeln wurde unmissverständlich besitzergreifend.
„In dem Fall würde ich jetzt viel lieber über Sie reden“, verkündete er vielsagend und blickte ihr tief in die Augen.
3. KAPITEL
„Über mich?“, flüsterte Hannah, wie gebannt von seinem sinnlichen Lächeln. „Ich … wüsste nicht, warum. Wir haben schon genug über mich gesagt. Und ich bin sehr langweilig.“
Er musterte sie langsam und genüsslich. „Lassen Sie mich das beurteilen.“
Lachend gab sie sich geschlagen. „Also gut, schießen Sie los.“
„Erzählen Sie mir mehr von diesem Laden“, bat er zu ihrer Verblüffung.
„Da gibt es nicht viel mehr zu erzählen. Es ist eben nur ein kleiner Laden.“
„Für Strickwolle sagten Sie?“
„Ja.“
„Stricken Sie gern?“
Sie sah ihn überrascht an. Eigentlich war es eine ganz harmlose Frage, aber Sergejs wissender Blick verriet, dass das eigentliche Ziel war, mit dieser Frage die tiefsten Geheimnisse ihrer Seele zu entblößen.
Was absurd war, denn Hannah hatte gar keine Geheimnisse. „Nein, eigentlich nicht“, antwortete sie deshalb ehrlich. „Als ich klein war, hat meine Mutter versucht, es mir beizubringen. Aber ich war hoffnungslos unbegabt, weshalb sie es zu meiner Erleichterung irgendwann aufgab.“
„Ich verstehe.“
Zwei Worte, die Hannah verrieten, wie viel er wirklich verstand … oder zu verstehen glaubte. Er war ein unverbesserlicher Zyniker und versuchte, ihr seine pessimistische Weltsicht aufzudrücken. Was ihr gar nicht gefiel.
„Ich mag die geschäftliche Seite“, betonte sie deshalb, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Sie macht mir nichts aus, wäre treffender gewesen.
„Und deshalb führen Sie diesen Laden allein weiter.“
„Warum nicht? Ich kann mir nichts anderes vorstellen und habe viele Verbesserungsideen.“
„Ist denn eine Verbesserung nötig?“
„Kann man nicht alles noch besser machen? Wie auch immer, der Laden hat meinen Eltern alles bedeutet. Das kann ich nicht einfach ignorieren.“
„Und was bedeutet er Ihnen?“
„Er ist mir auch sehr wichtig“, antwortete sie prompt, aber sie hatte zum ersten Mal das unangenehme Gefühl zu lügen.
„Erzählen Sie mir von Ihrer
Weitere Kostenlose Bücher