Julia Extra Band 356 - Ebook
auf der Welt zu Hause war. Obwohl er sich meist in Zürich aufhielt, gab es keinen Ort, den er prinzipiell bevorzugte.
Warum habe ich Vasilii eigentlich erwähnt, fragte sie sich im Stillen. Wollte sie dem attraktiven Fremden durch die Blume zu verstehen geben, dass sie nicht allein und ohne Schutz war? Oder hatte sie plötzlich an ihren Bruder denken müssen, weil sie ziemlich sicher war, dass er ihr Verhalten verurteilen würde, wenn er davon erfuhr? Denn schließlich wähnte er sie in der sicheren Obhut von Miss Carlisle, der pensionierten Direktorin eines bekannten Mädcheninternats, die Vasilii engagiert hatte, um ein Auge auf Alena zu werfen. Leider hatte die ganz plötzlich eine Blinddarmentzündung bekommen, und Alena hatte darauf bestanden, dass sie sich nach der Operation in Ruhe auskurierte.
Ein wenig plagte sie das schlechte Gewissen, wenn sie daran dachte, wie sie Miss Carlisle versichert hatte, dass sie sich in die Obhut von deren Nichte begeben würde, die in dieser Zeit für sie einspringen wollte. Denn leider war die Nichte einen Tag vor der Operation nach New York geflogen. Und Alena hätte natürlich Vasilii Bescheid geben müssen. Aber das hatte sie nicht getan. Und in einem war sie ganz sicher: Miss Carlisle, die noch zur ganz alten Schule gehörte, weigerte sich, so etwas wie einen Computer oder ein Handy zu benutzen. Daher war auch nicht damit zu rechnen, dass ihr Schwindel aufflog.
Als Vasiliis Name fiel, schien Kiryls Herz für einen Schlag auszusetzen. Der Schreck nahm ihm den Atem. Das konnte kein Zufall sein, mit Sicherheit gab es keine zwei Vasilii Demidovs, die reich genug waren, um sich eine Suite in einem großen Londoner Luxushotel zu leisten. Vielleicht hatte seine Stiefmutter mit ihrem festen Glauben ans Schicksal ja doch recht gehabt?
Aber im Gegensatz zu ihr war Kiryl durch und durch Geschäftsmann, und für ihn zählten nur Fakten. Er wartete, bis die Kellnerin ihnen Tee eingeschenkt hatte und wieder gegangen war, dann fragte er beiläufig: „Ach, Ihr Bruder ist also Vasilii Demidov? Der Präsident von Venturanova International?“
„Ja. Kennen Sie ihn?“
Kiryl schüttelte den Kopf. „Nicht persönlich. Aber natürlich habe ich von ihm und seinen Erfolgen gehört. Ist er zurzeit in London?“ Kiryl wusste, dass dies nicht der Fall war, aber er wollte herausfinden, wie viel die junge Frau bereit war, ihm von sich aus zu erzählen.
„Nein, er ist geschäftlich in China.“
„Und er lässt es zu, dass seine Schwester sich ganz allein in London herumtreibt?“, fragte er lächelnd.
„Himmel, nein“, erwiderte Alena erschrocken. „Das würde er niemals zulassen.“ Sie biss sich auf die Lippen. Hatte sie zu viel gesagt? Warum war sie nur so nervös?
„Es klingt, als würde er sich fürsorglich um Sie kümmern“, bemerkte Kiryl. Offensichtlich bedeutete Vasilii seine Schwester sehr viel. Er musste mehr über diese Beziehung herausfinden.
„Ja, er ist sehr fürsorglich“, bestätigte Alena. „Und manchmal …“
„Ist Ihnen das ein wenig lästig, nicht wahr? Das ist ja auch ganz normal. Sie sind jung, Sie wollen das Leben genießen. Bestimmt fühlen Sie sich ein bisschen einsam, so ganz allein hier in diesem großen Hotel, während Ihr Bruder am anderen Ende der Welt Geschäfte macht.“
„Normalerweise würde er nicht im Traum daran denken, mich allein zu lassen“, vertraute Alena ihm an. „Aber diesmal … diesmal blieb ihm nichts anderes übrig.“
Wieder musste Alena daran denken, dass sie ihren Bruder hinterging, und sie fühlte sich schuldig. Doch zugleich genoss sie ihre Freiheit sehr. Denn obwohl sie Miss Carlisle wirklich mochte, war die schon ziemlich alt und hatte sehr verstaubte Ansichten. Als ihre Eltern noch lebten, war alles anders gewesen. Ihr Vater war ein lebenslustiger Mann gewesen und ihre Mutter der liebevollste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte. Alena vermisste die beiden sehr, besonders ihre Mutter.
Vielleich ist es wirklich das Schicksal, das mir diese Frau geschickt hat, dachte Kiryl. Doch welchen Vorteil er aus dieser Begegnung ziehen würde, konnte wohl nur die Zeit zeigen.
Er zog die Augenbrauen hoch und scherzte: „Um ehrlich zu sein, das klingt mehr nach einem Gefängniswärter als nach einem Bruder.“
Erneut bekam Alena ein schlechtes Gewissen. Was sie gesagt hatte, war sicher nicht fair gegenüber Vasilii gewesen. Andererseits fand sie es sehr erleichternd, sich endlich einmal aussprechen zu können. Dennoch,
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